Der Bauer, der meinte, die Natur zu unterstützen – Impulswerkstatt

Endlich ist mir zu meinem Foto auch was eingefallen, im vierten Anlauf!  Dafür liebäugle ich mit einem zweiten Blasentext und einem weiteren Getreidetext. Es geht wieder.

„Die Spreu vom Weizen trennen“ war der Lieblingsspruch des Bauern. Nicht nur auf seine Getreideernte bezog er sich damit, sondern auf das Leben im allgemeinen, auf die Menschen in seinem Dorf, seine Nachbarn, seine Familie.

Er hatte einen schönen Betrieb und war so reich wie man es mit einem bestenfalls mittelgroßen Hof nur werden konnte. Getreide, Hühner, Schafe, eine Käserei, Obstgärten und einen prächtigen Hofladen, der von seiner Frau geführt wurde. Nicht alle Produkte, die dort verkauft wurden, stammten tatsächlich vom eigenen Hof und nicht alles, was als Bio-Produkt angepriesen wurde, verdiente diesen Namen, aber die Städter konnten da ohnehin keinen Unterschied feststellen.

Unzufrieden kam der Bauer an diesem Sonntag aus der Messe zurück. Der neue Pfarrer war ihm zu jung und zu eifrig. Der alte Pfarrer hatte langweilige aber verlässliche Predigten gehalten, immer am Ablauf des Kirchenjahres orientiert und niemand musste damit rechnen, dass irgendwelche Geschehnisse aus dem Dorfleben für die Predigt verwertet wurden. Niemals hätte der alte Pfarrer von der Bergpredigt gesprochen und dabei erwähnt, dass ihn das Verhältnis zwischen der Anzahl der Schafe des Bauern und den Mengen an Käse, die er als Eigenprodukt verkaufte, sehr an die Brotvermehrung erinnere, er aber in diesem Fall keine göttliche Intervention erkennen könne. Und der strafende Blick, den er dem Bauern zugeworfen hatte! Eine unverschämte Einmischung der Kirche in seine Geschäfte. Diese Zeiten sollten doch wohl vorbei sein, dachte der Bauer sehr verärgert und überlegte, ob so ein Pfarrer besonders wenn er jung und somit sicher völlig unerfahren in seinem Amt war, auch zur Spreu gezählt werden konnte.

Die zwei jüngeren Kinder des Bauern sprangen um ihn herum. Sie hatten die Sache mit der gottlosen Vermehrung des Schafkäses wohl nicht verstanden, Kinder hörten ja bei Predigten ohnehin nicht zu. Der Bauer erinnerte sich gut, wie langweilig er selbst als Kind jeden Sonntag wieder die Messe des alten Pfarrers erlebt hatte. Aber, so dachte er, da konnte man wieder sehen, dass nicht alles, was auf den ersten Blick schlecht erschien auch so war. Manchmal musste man ein bisschen warten, bis man die Spreu vom Weizen trennen konnte. Den alten und den neuen Pfarrer hatte er nun endgültig in die richtigen Kategorien eingeteilt, den einen zur Spreu verbannt den anderen im Rückblick als Weizen identifiziert.

Ebenso lag die Sache bei seinem ältesten Sohn, der in die Stadt gezogen war und nichts davon wissen wollte, den Hof zu übernehmen. Musiker war er geworden, ein Bauernsohn, der sich nichts Besseres zu tun wusste, als in einem Orchester zu spielen, die Klarinette noch dazu. Nicht einmal ein solides Instrument!

Aber auf die beiden Kleinen aus zweiter Ehe hatte der Bauer große Hoffnungen gesetzt. Ihr Großvater mütterlicherseits, Besitzer eines großen Weinguts hatte schon angedeutet, dass er einen seiner Enkel, wenn sie erst groß genug wären, gerne als seinen Erben anlernen wollte und der andere würde dann natürlich den Bauernhof übernehmen.

Sein jüngstes Kind, seine Tochter, die gerade zu krabbeln begann, würde er an den anderen Nachbarhof verheiraten. Dort war der älteste Sohn zehn, genau richtig im Alter. Gerne malte der Bauer sich aus, wie er sein Leben gestaltete, sein Schicksal selbst formte und seine Kinder an die richtigen Plätze im Leben stellte. Der Verrat des ältesten Sohnes hatte allerdings einen Riss in sein gefestigtes Weltbild gesprengt, der gelegentlich aufklaffte. Die Pläne zur Gestaltung des Lebens seiner anderen Kinder wirkten da wie Zement, der diese Risse wieder verschloss und das Wohlbefinden des Bauern in der Welt wieder herstellte, wenn auch in letzter Zeit immer mühsamer.

Der Bauer war nicht nur reich sondern auch geizig und immer darum besorgt, dass ihm weniger zuteil werden könnte, als ihm zustand; dass sein Getreide nicht hoch genug wachsen würde, das seine Schafe zu wenig Milch gäben und das Obst zu spärlich oder zu spät reifte. Längst hatte er alle seine Nachbarn in Spreu und Weizen getrennt und nachdem er kaum jemanden zum Weizen zählen konnte, war er zu dem Schluss gekommen, dass er seine Besitztümer besser schützen musste.

Sein erster Schritt war ein Zaun um den Obstgarten. Es war ein Holzzaun, der nicht weiter aufgefallen wäre, wäre er nicht deutlich höher gewesen als alle Zäune der Umgebung. Zu diesem Zeitpunkt schwankte die Bäuerin zwischen Ärger und Sorge.  Sie war nicht nur um vieles jünger als der Bauer, sie war auch von Natur aus umgänglich und freundlich und wollte ihren Kindern das Bild einer Welt vermitteln, in der alle ihren selbst gewählten Platz finden konnten. Nun musste sie jedes Mal wenn sie in den Obstgarten ging, mehrere Schlösser am Zaungatter auf- und zusperren. Wenn sie auch selbst die Schlösser immer offen ließ, so wachte doch der Bauer darüber, dass sie nie lange offen blieben. Meistens schickte er eines der Kinder mit dem Auftrag den Obstgarten zu versperren und erboste die Bäuerin damit noch mehr.

Die Lage verbesserte sich nicht und eines Tages kam der Bauer mit seinem Kleintransporter vom nächstgelegenen Lagerhaus zurück und sie sah, dass er mehrere große Rollen Stacheldraht auf der Ladefläche liegen hatte. Er ging nicht weiter darauf ein, dass sie keinen Stacheldraht auf dem Hof haben wollte, schon wegen der Kinder. Es war ihm nicht einmal zu entlocken, was er genau vorhatte. Er arbeitete mit dem Stacheldraht hinter dem Rücken der Bäuerin, die mit dem gut besuchten Hofladen und den drei kleinen Kindern stark ausgelastet war und keine Zeit hatte auf dem gesamten Hof zu patrouillieren.

War der Bauer in ihrer Nähe hörte sie ihn von Spreu und Weizen murmeln, er sprach auch von den diebischen Nachbarn, die sein Getreide holen wollten, den boshaften Städtern, die die Ähren niedertrampelten um schneller in den Wald dahinter zu gelangen und vom jungen Pfarrer, von dem er annahm, dass er ihn beobachtete. Eigentlich war er sich diesbezüglich ganz sicher.

Der Pfarrer und einige Nachbarn, mit denen der Bauer früher am Stammtisch regelmäßig Karten gespielt hatte, machten in letzter Zeit Andeutungen über seine Aktivitäten bei den Feldern und die Bäuerin war nun schon sehr besorgt um den Geisteszustand ihres Mannes. Als er eines Tages mit blutigen Händen und zerrissener Kleidung nachhause kam, wurde es ihr zu viel und sie ging mit dem jüngsten Kind auf dem Arm zu den Getreidefeldern um zu sehen, was dort vor sich ging.

Was sie vorfand, erinnerte an den Alptraum eines Paranoikers. Der Bauer hatte alle Getreidefelder mit Stacheldraht umzäunt und auch innerhalb der Umzäumung kreuz und quer durch die Felder weitere Bahnen Stacheldraht gezogen.

Damit hatte er seine gesamte Getreideernte vernichtet um sie der vermeintlichen Gier anderer zu entziehen. Das Weltbild des Bauern hatte nun keine Risse mehr, es war alles wohl gefügt und geschützt, alles und jedes auf seinem Platz, unverrückbar für alle kommenden Zeiten. Mithilfe des Stacheldrahts hatte er sogar der Natur geholfen, Spreu vom Weizen zu trennen.

Die Bäuerin lachte hysterisch, das Kind hüpfte auf ihrem Arm. Der Pfarrer und die anderen Honoratioren des Dorfes überlegten, einen Wohltätigkeitsbasar zu veranstalten, für die armen Kinder. Der Bauer aber war glücklich und zufrieden mit seiner perfekten Abgrenzung von der Welt.

18 Gedanken zu “Der Bauer, der meinte, die Natur zu unterstützen – Impulswerkstatt

  1. Gefällt mir sehr gut deine Geschichte, gut ausgeschmückt dass Bilder entstehen können.
    Was mich aber irritiert ist die Anzahl der Kinder.
    Erst sind es zwei kleine Kinder aus zweiter Ehe und ein erwachsener Musiker, dann sind es drei Kleinkinder um die sich die Ehefrau neben dem Hofladen kümmern muss.

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  2. Erst dachte ich, hey, ein Aluhut! Aber neee, ich glaube, diese Sorte Paranoia ist häufiger, nur die Umsetzung nicht …
    Und jetzt frage ich mich, wie lange diese seine zweite Ehe wohl noch hält, da seine Frau ja wohl mit einer eigenen abweichenden Meinung gesegnet ist.
    Das mit der wunderbaren Brotvermehrung etc. soll häufiger sein.
    Last but not least gebe ich Nati recht, die Kinder sind etwas unstrukturiert, du hättest die beiden älteren als Jungs einführen können oder die Gesamtzahl früher erwähnen. Ich finde aber, dass das der Geschichte keinen Abbruch tut.
    Morgenkaffeegruß 😁🌧️☕👍

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    1. Naja den Stacheldraht mit Getreide habe ich ja fotografiert, den muss es also geben, aber ich glaube nicht, dass das ein Feld war, eher ein Einzelexemplar.
      Ja, wie gesagt, die Kinder sind eigentlich ein Dekoelement, weil ich mir einen Bauernhof ohne Kinder nicht vorstellen kann 🙂 Aber es stimmt schon, in einer überarbeiteten Version, die es wahrscheinlich nicht geben wird, würde ich sie etwas genauer zeichnen. Dazu mehr in einem Beitrag, den ich wahrscheinlich morgen schreiben werde.

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  3. Eine Persönlichkeitsentwicklung in interessanter Perspektive erzählt: Über eine weite Strecke scheint die Erzählung einen inneren Monolog abzubilden, der sich allmählich ablöst und zur auktorialen Perspektive wechselt. Darum finde ich das Auftauchen der Kinder auch nicht unstrukturiert: sie tauchen in der Reihenfolge auf, wie sie dem Bauer in den Kopf kommen.
    Am Schluss habe ich das Gefühl, dass der spannende Teil der Geschichte jetzt erst richtig losgeht und bin SEHR enttäuscht, dass schon Schluss ist. Aber so sind gute Geschichten.

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    1. Vielen Dank fürs Lob! Ich habe meine Komfort-Schreiblänge noch nicht gefunden, fürchte ich. Entweder lässt sich die Geschichte wegen ihrer Kürze gar nicht entfalten oder aber die Idee hat viele Facetten und Möglichkeiten und ich bremse mich selbst ein.
      Wenn du gerne mehr lesen würdest von diesem Bauen, dann ist das ja wirklich ein gutes Zeichen für mich 😉

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  4. Diese Angst davor, dass andere einem etwas wegnehmen, haben viele Menschen und bei einigen artet es aus. Kann man gut bei Arbeitslosen, Flüchtlingen und Corona sehn. Wie bei den Menschen wünscht man sich vom Bauern, dass er sich aufs Gute konzentriert. Ich mag, dass er am Ende nicht alles verliert. Dadurch ist er nicht am Ende das Opfer.
    Toll geschrieben!

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  5. Toll erzählt, Myriade, ganz im Stil alter Parabeln, die sich dann in die Moderne verlängern. Da ist der alte Bauer dann kein Archetyp mehr, sondern wird ein Durchgeknallter, der vermutlich in die Psychiatrie eingeliefert wird, die Frau hat glücklicherweise einen reichen Weinbauernhintergrund und wird es schon schaffen, tüchtig und ausgleichend wie sie ist, nur um die beiden älteren Buben mache ich mir ein wenig Sorgen, ob die wohl nach dem Vater geraten…. 😉

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  6. Grossartig.
    Ich hatte schon überlegt, wie oder wann der Stacheldraht ins Spiel kommen würde.
    Das hast du toll gelöst. Danke für die schöne (krasse) Geschichte.
    Leider treffen wir heute immer öfter auf „vernagelte“ Hirne, die sich ihrer Weltanschauung sehr sicher sind und alle anderen als dumm und naiv ansehen.

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