Schlagwort: Literaturreise

68. Station meiner Literaturweltreise – Norwegen

ABKÜHLUNG

Hier geht es zu meiner Literaturweltreise

Ich interessiere mich sehr für den „großen Norden“ wie die Franzosen sagen, habe vieles darüber gelesen und gesehen. An „Amundsens letzte Reise“ von Monica Kristensen konnte ich daher nicht vorbeigehen. Einmal ganz abgesehen davon, dass bei den derzeitigen Temperaturen das Lesen über Schnee und Eis gerade richtig kommt.

Die Autorin dieses Buchs aus dem btb-Verlag, Monica Kristensen, ist eine norwegische Glaziologin, Meteorologin und Schriftstellerin. Sie war die erste Frau, die eine Antarktisexpedition geleitet hat. Als Polarforscherin wurde sie 1989 mit der Founder’s Medal der Royal Geographical Society ausgezeichnet. Offenbar eine sehr vielseitige Frau, denn sie hat auch eine Krimireihe geschrieben, die in Svalbard spielt, einem Archipel zwischen dem Atlantischen und dem Arktischen Ozean.

Das Buch bewegt sich rund um das Jahr 1928. Die Vorgeschichte dazu:

„Die Zeiten der heroischen Expeditionen mit Fellkleidung, Hundegespannen und langen Jahren der Entbehrungen, Erfrierungen und Leiden waren vorüber. Roald Amundsen ergriff die Möglichkeiten, die sich ihm boten. 1925 führte er zusammen mit einer Mannschaft von fünf Teilnehmern, darunter auch Leif Dietrichson, einen Flug mit zwei Dornier Wal-Flugzeugen von Ny-Alesund auf Spitzbergen in den Norden durch. Das Ziel war der Nordpol: Sie landeten jedoch auf 88 Grad nördlicher Breite. Ein neuer Rekord, aber eben nicht der Pol selbst. 1926 erreichte Amundsen endlich sein persönliches Ziel. Auch dieses Mal war er der Erste. Das italienische Luftschiff „Norge“, gelenkt von dem Konstrukteur selbst, Umberto Nobile, erreichte am 12.Mai 1926 um 02.20 Uhr den Nordpol“ S.15

Nach dieser erfolgreichen Expedition trennten sich Amundsen und Nobile aber nicht im Frieden. Aus meiner Sicht war es ein Problem des Zusammenstosses von zwei überzeugten Alphamännern. Das schreibt allerdings nicht die Autorin, die eine große Bewunderin von Amundsen ist.

Am 23.Mai 1928 startete Nobile mit dem Luftschiff „Italia“ eine eigene Expedition zum Nordpol bei der auch die Inselgruppe östlich von Franz-Josef-Land kartografiert werden sollte. Damals hieß sie „Nikolaus-II-Land“, heute nennt man sie „Sewernaja Semlja“. Die „Italia“ kam am Nordpol an, umkreiste ihn zwei Stunden lang und setzte dort ein riesiges Kreuz und eine italienische Fahne ab. Beim Weiterflug wurden die Wetterbedingungen aber immer schwieriger, die letzte Funknachricht kam am Freitag, dem 25. Mai und schließlich stürzte das Luftschiff ab. Dabei sprangen einige der Expeditionsteilnehmer über dem Eis ab, einige wurden bei dem Absturz getötet und einige wurden mit dem Ballon des Flugzeugs mitgerissen.

Es wird nun die Suche nach den eventuellen Überlebenden dieses Absturzes insbesondere General Umberto Nobile selbst geschildert. Die Autorin hat bis in kleine Details recherchiert. Die zahlreichen Schiffe und Flugzeuge aus verschiedenen Ländern, Italien, Norwegen, Frankreich, Schweden, Finnland, Russland werden sowohl in ihren technischen Details als auch was die Besatzung betrifft, genau beschrieben. Für meine Begriffe etwas zu genau, denn die technische Beschreibung verschiedener Flugzeugtypen und die Aufzählung der Karriereschritte der Teilnehmer an diversen Expeditionen hat mich nicht so interessiert. Das kann man aber natürlich dem Buch nicht vorwerfen.

Sehr spannend dagegen fand ich, wie die vielen beteiligten Nationen mehr oder weniger diplomatisch miteinander umgingen und wie wichtig die Nationalität der Polarforscher genommen wurde. Es war alles nicht ganz einfach, weil die Besatzung nicht unbedingt aus demselben Land kam in dem die Flugzeuge und Schiffe gebaut worden waren und auch die Rechte der Verwaltung mancher Gebiete nicht restlos geklärt war.

Amundsen wollte sich aus Motivationen, die wir wohl nicht mehr erfahren werden unbedingt an der Suche nach Nobile beteiligen und nachdem ihn weder die norwegische noch die italienische Regierung mit der Organisation einer Expedition betraute, rüstete er auf eigene Faust eine private Rettungsexpedition aus und weihte auch niemanden in seine genauen Pläne ein. Dies wurde ihm zum Verhängnis, denn auch sein Luftschiff stürzte ab und er selbst und die Teilnehmer seiner Expedition konnten im Gegensatz zu Nobiles Expedition nicht mehr gefunden werden.

„Amundsens letzte Reise“ ist auch nicht als reines Sachbuch konzipiert. Die Autorin hat auch Passagen mit Beschreibungen des Überlebens der Nobile-Expedition, wobei sie darauf verweist, dass auch diese Schilderungen alle auf Fakten beruhen. Ziemlich schaurig ist die Beschreibung des Auffindens von zwei von drei Männern, die sich von Nobiles Zeltlager entfernt hatten und versuchten zu Fuß Land zu erreichen (Nobiles Zeltlager befand sich auf einer driftenden und immer weiter schmelzenden Eisscholle) Einer der ursprünglich drei Männer war unterwegs verstorben, von den beiden übrig gebliebenen war einer fast verhungert und fast nackt, während der andere gut genährt und mit beinahe allen vorhandenen Kleidungsstücken aufgefunden wurde.

Mich hat die Schilderung eines russischen Eisbrechers besonders beeindruckt, die gewaltigen Mengen an Kohle, die so ein Schiff verbrauchte und die enorme Umweltverschmutzung, die dadurch entstand aber auch die Kraft dieser Schiffe, die beim Einsatz der vollen Kraft der Maschinen das Eis buchstäblich brechen konnten. Letztlich – nach vielen Flügen und Schifffahrten war es so ein Eisbrecher, der die Überlebenden von Nobiles Zeltlager an Bord nahm, ebenso wie die beiden verbliebenen italienischen Offiziere, die sich zu Fuß aufgemacht hatten. Jene Männer der Nobile-Expedition, die mit dem Ballon weggerissen worden waren, konnten nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Amundsen und die französische Besatzung seines ebenfalls französischen Luftschiffs.

Ein letztes Detail oder Indiz in dieser gewaltigen Suchaktion hebt die Autorin für das Ende des Buchs auf. Es lässt aufhorchen, Theorien wurden erstellt, aber trotz etlicher Indizien konnten keine Gewissheiten gefunden werden.

Nach Überblättern von für mich nicht so interessanten technischen Details und biografischen Anmerkungen zu sehr vielen Teilnehmern verschiedener (Such)Expeditionen fand ich das Buch spannend, informativ und sehr geeignet während einer Hitzewelle gelesen zu werden

Von 199 auf 196

Ich habe meine Literaturreiseseite umgebaut und erneuert, auf den neuesten Stand gebracht und mit einer bunten Karte versehen. War eigentlich viel Aufwand, aber jetzt ist alles so gestaltet, dass es sehr schnell und einfach immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden kann. Und irgendwann (in einer fernen Zukunft) werden auf der Liste nur noch ganz wenige Länder stehen, aus denen oder über die ich nichts gelesen habe.

Ich habe herausgeklaubt welche von den vielen Winz-Inseln eigene Staaten sind. Erstaunlich viele. Bei einigen wird es ziemlich schwierig werden, ein literarisches Werk zu finden. vielleicht ist das aber auch nur ein Vorurteil.

Die Westsahara ist zwar kein eigener anerkannter Staat, aber ich finde sowohl die klimatische als auch die politische Lage so schlimm, dass ich ein Land auf meiner Liste daraus gemacht habe. Nicht dass damit irgendjemandem geholfen wäre …..

Es sind derzeit 56 Lesestationen aus 47 Ländern. Ich habe etliche Romane aus verschiedenen Ländern, die demnächst an die Reihe kommen, aber dazwischen lese ich natürlich auch noch anderes …

Jedenfalls war das ein typischer Lockdown-Sonntag wie es wohl noch etliche geben wird.

Reisen in 199 Länder dieser Erde

Meine Literaturweltreise begann auf Anregung von Yvonne   im Jänner 2017, geht also nun im Jänner 2021 ins fünfte Jahr und es ist noch kein Ende abzusehen.

Auf der Liste, die ich verwende, stehen 199 Länder, von denen ich ungefähr fünfzig „bereist“ habe. „Ungefähr“ deswegen, weil sich meine Seite dazu (zu finden unter Menü)  gerade als work in progress darbietet. So ein Lockdown ist der ideale Zeitpunkt für strukturierende Arbeiten auf dem Blog.

Was ich leider immer noch nicht gefunden habe, ist eine vernünftige Weltkarte auf der man Länder einfärben oder sonstwie markieren kann. Ich hatte zunächst eine solche Karte, die aber nur extrem mühsam funktioniert, weil man jedesmal, wenn man ein neues Land markieren möchte, von Null anfangen und alle Länder wieder neu eingeben muss. Ich bin auf der Suche nach einem anderen Modell. Bitte um Info, falls jemand so eine Karte ausprobiert hat.

In vier Jahren habe ich also ungefähr ein Viertel aller Länder dieser Erde besucht. Das ist nicht überwältigend viel, aber ich lese auch noch anderes und manche Länder habe ich auch mehrmals bereist, weil mir mehrere interessante Autor*innen untergekommen sind. Mehr als maximal vier Beiträge pro Land wird es aber nicht geben   Es kommt immer wieder vor, dass Länder umbenannt werden, dass neue Staaten entstehen. Ich halte mich an meine 199 Länder. Sollte ich lesend irgendwo unterwegs sein, wo solche geo-politischen Umwälzungen stattfinden, werde ich mir überlegen, wie ich damit umgehe.

Der ursprüngliche Plan war, Werke von Autoren aus dem jeweiligen Land oder Literatur jeder Art über das jeweilige Land zu lesen. Im Lauf der Zeit gab es bei Yvonne manchmal zusätzlich kulinarische Beiträge zu manchen Ländern. Ich habe meine Literaturstationen um „Kunststationen“ bereichert, also Berichte über Ausstellungen bzw Austellungskataloge.

Für manche Länder ist es nicht so einfach ein literarisches Werk zu finden. Etwa für kleine Inseln, die aber unabhängige Staaten sind zB Tonga oder Tuvalu. Aber mit Geduld und Interesse werde ich schon fündig werden.

Nachdem derzeit das Reisen nicht so einfach ist, schätze ich es ganz besonders „wenigstens“ literarisch unterwegs zu sein. „Wenigstens“ passt eigentlich gar nicht, denn aus Kunst und Literatur erfährt man viel und es gibt ja durchaus auch gar nicht so wenige Länder, in denen ich mich – aus verschiedenen Gründen – physisch gar nicht aufhalten möchte.

Derzeit bin ich in der Karoo, in Südafrika unterwegs.

56. Station der Literaturweltreise – Neuseeland

Ein absolut faszinierendes Buch, von Anfang bis Ende.

Im Vorwort schreibt die Autorin, wie schwierig es war, einen Verleger zu finden für diesen Roman, an dem sie 12 Jahre geschrieben hatte und den sie so vollendet fand, dass sie nicht bereit war, irgendetwas daran zu ändern. Viele Verleger fanden ihn aber „zu umfangreich, zu sperrig, zu anders, verglichen mit der normalen Form des Romans. Ein Glück, dass sie nicht aufgegeben hat ! 1985 gewann sie den Booker-Preis. Heute gibt es eine deutsche Übersetzung des Romans in einem Fischer-Taschenbuch

Drei Protagonisten erleben wir. Eine Malerin, die sich mit ihrer Familie entzweit und auch den Zugang zu ihren künstlerischen Schöpfungsprozessen verloren hat, ein Mann, der zwischen zwei Kulturen lebt und ein Kind, der einzige Überlebende einer Schiffskatastrophe dessen Herkunft unbekannt ist. Diese drei Menschen, die sich zufällig getroffen haben, nähern sich einander, vergrößern die Abstände wieder, tanzen Spiralen und Kreise umeinander. Alle drei sind in der einen oder anderen Weise von ihren Wurzeln abgeschnitten, alle drei suchen nach Zusammengehörigkeit und finden sie nur in kurzen Augenblicken

Die äußeren Elemente der Handlung lassen sich in drei Sätzen zusammenfassen, die schwierigen manchmal verzweifelten Beziehungen zwischen den Protagonisten nicht.

Was mich so besonders fasziniert hat, ist Keri Hulmes Sprache, die Bilder, die sich gegenseitig zu inspirieren scheinen. Große und tiefe Bilder, die ineinander übergehen, dazwischen banalste Dialoge und sehr viele innere Monologe. Es ist nicht immer auf den ersten Blick klar, wer da gerade spricht.

Das Buch beginnt mit einem Prolog unter dem Titel „Das Ende am Anfang“. Tatsächlich werden in diesem Prolog die drei Protagonisten eingeführt. Das weiß man als Leser*in aber erst später. Ein kleines Zitat aus dem Prolog:

„Sie waren für sich selbst, nichts weiter als Menschen.
              Auch in Paaren, gleich wie gepaart, wären sie für sich selbst nichts weiter gewesen als Menschen. Aber alle zusammen sind sie Herz, Muskeln und Geist von etwas Gefährlichem und Neuen geworden, von etwas Seltsamen und Wachsenden und Großen.
             Zusammen, alle zusammen sind sie die Werkzeuge der Veränderung.“ p.17

Die Autorin und die Protagonistin Kerewin haben Maori-Vorfahren und der zweite erwachsene Protagonist, Joe stammt aus einer Maorifamilie. Dadurch erfährt man einiges über das Volk der Maori und deren Stellung im modernen Neuseeland. Die beiden erwachsenen Protagonisten kommen auch gegen Ende des Romans unabhängig voneinander mit Maori-Mystik in Berührung, was sich für beide sehr positiv auswirkt. Sehr interessant fand ich auch, dass in den Dialogen durchgehend Teile in der Maorie-Sprache*) stehen. Es gibt dazu zwar ein Glossar, aber es ist in der Reihenfolge des Auftauchens der Wendungen sortiert und ich fand es reichlich unpraktisch. Das ist aber auch schon das einzige, was ich an diesem Buch zu bekritteln habe.

Ein großes Leseerlebnis !

 

*) aus Wikipedia:  Die Sprache wurde 2006 in Neuseeland noch von rund 157.500 Menschen gesprochen, 131.600 davon maorischer Abstammung. Bei einem Bevölkerungsanteil von rund 565.300 Māori waren 2006 also nur noch 23,3 % der Māori in der Lage, die Sprache im täglichen Leben anzuwenden.

 

55. Station der Literatur- und Kunstweltreise – México

Karte aus Wikipedia

Hier findet sich meine im Jänner 2017 begonnene Literatur- und Kunstweltreise

Wir sind in den letzten zwei Wochen ein bissl herumgefahren und haben uns abgesehen von zwei Steinzeitdörfern mit dazugehörigen Museen und einer reichlich kuriosen Habsburger-Gedenkstätte auch eine kleine Maya-Ausstellung angesehen. Pikant war, dass die Mayaaustellung gleich neben dem Nitsch-Museum zu finden war. Blut zu Blut gewissermaßen.

Es war eine kleine Ausstellung. Klein von der Anzahl der real gezeigten Objekte, aber es gab sehr viel an diversem filmischen Material zu sehen.Zu dem Zeitpunkt als ich zum ersten Mal von den Mayas hörte, was Jahrzehnte her ist, war die Schrift bzw die Schriften noch nicht entziffert, was der Kultur einen recht mysteriösen Anstrich gab. Inzwischen kann man die Schriften weitestgehend lesen und hat dabei entdeckt, dass bei den Mayas ebenso wie bei anderen Völkern wie den Assyrern oder den Ägyptern die Schrift zuerst sehr praktischen Zwecken diente.

Man steht ehrfürchtig vor Steinstelen, Keilschriftzylindern, Papyri und überlegt, was für kosmische Weisheiten da wohl zu lesen sind. Tatsächlich stehen da Informationen wie „X verkaufte Y soundsoviel Land um den und den Preis“ „es wurde soundsoviel Weizen am soundsovielten auf das Schiff X geladen und nach Y verschifft“ „König A, der Sohn von König B, regierte von … bis. Glorreich besiegte er die …. “

Spirituelles findet man eher in gezeichneter Form, was das Verständnis nicht einfacher macht. Vor allem die realistischen Darstellungen der extrem blutigen Opfer ist gewöhnungsbedürftig.

Faszinierend die Mathematik der Maya, die die Null kannten und damit sehr exakte astronomische Berechnungen durchführten. Wenn man dagegen an die Römer denkt mit ihren langen Strich-Buchstaben Zahlen! Einigen Ärger und ein paar skurrile Episoden hat verursacht, dass das Ende eines Kalenderzyklus der Maya auf das Jahr 2012 fiel und die Esoteriker mit dem Ende der Welt rechneten. Das waren wahrscheinlich die gleichen, die heute Donald T als den Retter der Welt feiern. Das aber nur am Rande.

Weitgehend unbekannt ist auch der Grund für den teilweisen Niedergang der Kultur im 9. Jahrhundert, der zum Verlassen großer Stadtstaaten und damit zum Rückgang der Gesamtbevölkerung führte. Dazu gibt es zwei Erklärungsansätze: einen ökologischen: Dürren, Überbevölkerung, Auslaugen der Böden und einen politischen: Kriege, Invasionen etc. Derzeit wird der ökologische Erklärungsansatz favorisiert.

Interessant fand ich auch, dass sich in letzter Zeit die Vorstellung von einer Mayastadt verändert hat: die imposanten Steinbauten, die man schon lange kennt, waren nur das Zentrum der Stadtstaaten. Die zahlreichen restlichen Bauten gruppierten sich um das Zentrum und waren aus Holz.

Die Ausstellung beschäftigte sich auch mit dem Alltagsleben der Maya; dem Alltagsleben der historischen Völker und jenem der heutigen Nachkommen. Daher gab es auch Stoffe zu sehen.

Nachdem die heutige Maya-Bevölkerung zu einem Teil auf dem Staatsgebiet von México lebt, ist dies meine mexikanische Reisestation. Demnächst mache ich mich auf den Weg in die Südsee.

Juli Zeh – Neujahr

51. Station der Literaturweltreise – Spanien

Erstaunlich, dass ich in dreieinhalb Jahren Literaturweltreise noch nie in Spanien war. Auch diesmal sind es die Kanaren und nicht das Festland. Das muss ich demnächst ändern

Ein empfehlenswertes Buch. Leicht zu lesen, aber nicht seicht. Im weiten Feld zwischen schwieriger Literatur und Banalität angesiedelt. Spannend aber nicht reißerisch. Die handelnden Personen sind glaubwürdig geschildert, die mondähnliche Landschaft von Lanzarote ebenfalls.

Der Protagonist ist ein Mann, der mit 38 Jahren in ein fast vergessenes Trauma hinein fällt. Es ist sehr gut beschrieben, wie dieses alte Trauma in sein Leben und seine Handlungen hineinwirkt, ohne dass er weiß, woher die für ihn nicht einzuordnenden Gefühle kommen. Nicht so restlos glaubwürdig ist vielleicht, dass er einen Urlaub mit Frau und Tochter eigentlich gegen den Willen seiner Frau organisiert, gerade an dem Ort, an dem die vergessenen Ereignisse stattgefunden haben.

Der Titel des Buchs beschreibt nur die Zeit des Jahres, zu der der Urlaub auf Lanzarote stattfindet: Weihnachten und Neujahr. Vielleicht steht „Neujahr“ auch für „Neubeginn“, was jedenfalls passen würde.

Sehr gut geschildert hat Juli Zeh die Beziehung des Protagonisten zu seiner jüngeren Schwester, die er selbst auch erst verstehen kann, als ihm die alte Geschichte wieder einfällt und die er dann in eine ganz andere Richtung umlenkt.

Es ist ein schmales Buch, 190 Seiten, schnell gelesen, aber nicht unbedingt schnell wieder vergessen. Es sind ein par eindringliche Szenen dabei, einige sehr starke Bilder und man spürt sowohl die mögliche Verwirrung als auch die Kraft des menschlichen Geistes alte Wunden zu überwinden und das Leben neu zu gestalten.

49. Station der Literaturweltreise – Dänemark (Grönland)

Die Weltreise: Stationen 1 bis 48 

Es ist ein Buch über Eis und Schnee, über große Kälte, über den hohen Norden und die Polarnacht, über die Kultur der Inuit, den Entdeckerdrang und die Weltausstellung in Chicago 1893. Es ist auch ein Buch über das Ende der Erde, über futuristische Gentechnologie und die letzten Menschen. Eine ungewöhnliche Familiengeschichte wird aufgerollt und aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Zeiten erzählt, wobei die genauen Zusammenhänge nicht völlig klar werden.

Es ist ein großartiges Buch. Ich habe es gleich zweimal gelesen und kann gar nicht sagen, was mir am besten gefallen hat. Die Schilderungen des hohen Nordens, des Eises und der Kälte oder jene der Arbeitsweise der Schamanen, Sprache und Schriftzeichen der Inuit, das Eintauchen in das Schiff einer Polarexpedition oder doch der Teil der Geschichte, der auf einem Eisplaneten spielt auf dem das letzte Raumschiff der Menschheit gestrandet ist und der von der Hauptprotagonistin „Winterthur“ genannt wird.

Der rote Faden der Handlung ist die Geschichte von Elaine Duval, einer Genetikerin, die eine herausragende Erfindung gemacht hat und auf dem Raumschiff reist, das die letzten überlebenden Menschen beherbergt und zu einer neuen Heimat bringen soll. Es ist auch die Geschichte des Lebens mit ihrem Großvater, dessen Mutter eine Inuit war, und der zurück nach Grönland zog, wo er seiner Enkelin die Kultur der Inuit näher brachte.

Die Handlung zieht sich durch verschiedene Zeitebenen: die Gegenwart auf Winterthur, wo Elaine der letzte überlebende Mensch zu sein scheint, ihre Kindheit und Jugend mit dem Großvater in Grönland und in der Schweiz, die Zeit der Weltausstellung in Chicago,die Elaines Urgroßmutter als junge Frau in Begleitung eines norwegischen Polarforschers erlebt, dessen berühmten Namen man erst am Ende erfährt. Die Urgroßmutter kehrt nach Abenteuern nach Grönland zurück und wird zu einer Schamanin ihres Volks. Wer der Vater von Elaines Großvater ist, erfährt man nicht, ebensowenig wie wir irgendetwas über Elaines Großmutter erfahren. Das kann man als Schwäche des Romans sehen, aber auch als Stärke: es erzeugt den Wunsch diesen Nebel zu durchdringen und den Text ganz genau zu lesen um keinen Hinweis zu übersehen.

Die sprachlichen Übergänge durch Zeit und Raum, die Assoziationsketten, den Wechsel der Zeiten und Perspektiven finde ich meisterhaft gelöst.  Obendrein lebt der Autor in Wien und schreibt somit eine Sprache, in der ich mich absolut zuhause fühle.

 

 

Lesend reisen

Wenn ich geahnt hätte, was es für ein Aufwand sein würde, die Seite meiner Literaturreise

HIER

zu aktualisieren, hätte ich sie nicht so lange vernachlässigt.

Im Nachhinein ist man ja immer klüger.

Seit Jänner 2017 bin ich mit Yvonne und anderen Mitreisenden lesend unterwegs mit dem weit in der Ferne liegenden Ziel alle Staaten dieser Welt zu bereisen. Es sind entweder Texte von Autoren und Autorinnen aus den jeweiligen Ländern oder über die jeweiligen Länder oder in irgendeiner Weise mit diesen Ländern in Verbindung stehend. Yvonne hat auch mehrere kulinarische Beiträge  zu der Küche verschiedener Länder beigetragen. Ich habe kürzlich für mich das Lesen auch auf Kunstbetrachtung ausgeweitet. Bis jetzt gibt es allerdings nur ein Land, das ich innerhalb dieses Projekts durch Betrachtung von Gemälden bereist habe: Nepal. Vor vielen Jahren habe ich auch eine Reise nach Nepal gemacht. Aber hier geht es nicht um physisches Reisen sondern um Reisen im Kopf und ich muss schon sagen, dass es durchaus seine Reize hat.

Bisher habe ich 39 Länder literarisch oder durch Betrachten von Kunstwerken bereist, einige mehrmals und so gibt es eine Liste von 48 Stationen, die auch auf einer Karte dargestellt werden. Auf meiner Länderliste von vor 3 Jahren stehen 199 Staaten. Sollte sich da irgendetwas geändert haben, so nehme ich das nicht zur Kenntnis. Mein Ziel sind diese 199 Staaten von denen ich in 3 Jahren 39 bereist habe. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, brauche ich noch eine Weile.

48. Station der literarischen Weltreise – Vatikan

Nachdem mir „der zweite Schlaf“ von Robert Harris sehr gut gefallen hat, habe ich mich gleich an einen zweiten Harris herangemacht. Vorausschickend: auch dieser hat mir sehr gut gefallen.

Die Handlung beginnt mit dem unerwarteten Tod des Papstes. Der Protagonist des Romans, einer der vier höchsten Kardinäle der Katholischen Kirche hat die Aufgabe das Konklave, das den nächsten Papst ernennen soll zu organisieren. Gleich zu Beginn fragt man sich, wie viel von den tatsächlichen kirchlichen Würdenträgern in die Figuren des Romans eingeflossen sind. Robert Harris äußert sich dazu in einer Vorbemerkung:

„Obwohl ich um der Authentizität willen im ganzen Roman echte Titel benutzt habe (Erzbischof von Mailand, Dekan des Kardinalskollegiums etc) habe ich sie in dem Sinne benutzt wie man vielleicht über einen fiktiven amerikanischen Präsidenten schreiben würde. Ähnlichkeiten der von mir für diese Ämter erfundenen Figuren mit ihren gegenwärtigen Amtsträgern sind nicht beabsichtigt (…) Trotz gewisser vordergründiger Übereinstimmungen soll der verstorbene Heilige Vater in „Konklave“ kein Portrait des gegenwärtigen Papstes sein. „

Die „vordergründigen Übereinstimmungen“ sind enorm, die Situation in der katholischen Kirche weltweit, die Situation ihrer Würdenträger, Priester, Ordensfrauen etc ist auch sehr realistisch beschrieben. Weiters fand ich das Prozedere bei einer Papstwahl ebenso interessant wie das Einbeziehen in die Handlung der Kunstwerke in der Sixtinischen Kapelle.

Insgesamt ist es ein spannender Roman, in einem Milieu, das wohl nur den wenigsten Lesern vertraut ist. Unter den versammelten Kardinälen kristallisieren sich die Favoriten für das Amt des Papstes heraus. Sehr beachtlich finde ich, dass es Robert Harris gelingt, eine Atmosphäre zwischen Religiosität und persönlichem Ehrgeiz der Kardinäle zu erschaffen. Das Wirken des Heiligen Geistes wird auf der gleichen Erzählebene behandelt wie die Intrigen der Bischöfe gegeneinander. Es gibt auch mehrere Handlungsstränge, die im Bereich des Thrillers angesiedelt sind, die aber nicht weitergeführt werden, weil das Ende so überraschend und unerwartet ist, dass, wie das im Leben auch wäre, alle anderen Aspekte der Geschichte unter den Tisch fallen. Ein Ende, das zu denken gibt

Spannung mit kulturhistorisch interessantem Hintergrund.

 

47. Station der Literaturweltreise – Moçambique

Eine etwas seltsame Beziehung habe ich zu diesem Buch entwickelt. Ja, es ist gut geschrieben. Ja, es ist interessant, was die Beschreibung der Kolonialgeschichte Portugal-Moçambique betrifft, auch den Blick auf Sitten und Gebräuche einiger in der Gegend lebender Völker habe ich spannend gefunden. Mia Couto (Antonio Emilio Couto) ist obendrein ein mehrfach preisgekrönter Schriftsteller (und Biologe) aus einer in Mocambique lebenden portugiesischen Familie. Trotzdem hat mich dieses Buch so gar nicht überzeugt.

Die Handlung baut auf dem Perspektivenwechsel zwischen zwei Ich-Erzählern auf. Der eine, ein portugiesischer Kolonialoffizier, schreibt – seltsamerweise – sehr private Briefe an seinen militärischen Vorgesetzten. Die andere Perspektive ist die von Imani, einer jungen Frau, die in einer Missionsschule portugiesisch gelernt hat, und daher als Dolmetscherin verwendet wird. Ich finde beide Figuren nicht sehr glaubwürdig und auch wenig charakterisiert. Für magischen Realismus sind sie aber wiederum doch zu real.

Äußere Handlung gibt es in dem Buch kaum. Zwar herrscht Krieg zwischen verschiedenen Gruppen und Völkern, es gibt eine sehr eindrucksvolle Schilderung eines Schlachtfelds nach der Schlacht, aber mir fehlt der rote Faden. Auch das Ende bleibt völlig offen: Imani hat den portugiesischen Offizier angeschossen, der das ganze Dorf über die Absichten der Kolonialmacht belogen hat und nun fahren Imani, ihr Vater, eine plötzlich aufgetauchte Italienerin und der schwer Verletzte in einem Boot den Fluss hinunter.

„Es ist merkwürdig, wie Abschiede die Zeit verkürzen. Meine fünfzehn Jahre gehen an mir im Aufblitzen eines Augenblicks vorüber. Meine Mutter hat jetzt den Körper eines Kindes. Sie wird immer kleiner bis sie die Größe einer Frucht hat. Sie sagt zu mir: bevor du geboren wurdest, bevor du das Licht der Welt erblickt hast, hattest du schon Flüsse und Meere gesehen. Und etwas in mir reißt auf, als wüsste ich, dass ich niemals nach Nkokolani zurückkehren werde.“ p. 287

 

45. Station der Leseweltreise – Nepal im Wiener Weltmuseum

Ich habe beschlossen, meine Literaturweltreise auch für darstellende Kunst zu öffnen. Der Ausstellungskatalog von „Nepal Art Now“ wird also zu meiner Nepal-Station.

Es ist eine Ausstellung von der ich nicht besonders viel erwartet hatte, der F. ist überhaupt nur mir zuliebe mitgegangen und hat sich noch weniger erwartet, aber wir waren beide angenehm überrascht.

Das Titelbild des Katalogs sieht auf den ersten Blick nicht besonders interessant aus, ist aber Teil einer mehrteiligen Serie von Anil Shahi zum Thema gesellschaftliche Verlogenheit, die als Serie durchaus eindrucksvoll ist.

Verschiedenste Stilrichtungen gab es zu sehen, von ganz klassisch-buddhistischen über abstrakte, expressionistische, fotorealistische  Bilder.

Dieses Bild stammt von Laxman Shresta und er nannte es „Ohne Titel 1“

Das große Erdbeben  in Nepal war ein wiederkehrendes Thema .

Hier „Aftermath“ von Asha Dangol

 

Viele Bilder waren in ihrer Ikonographie als Bilder von Künstlern erkennbar, die in einer hinduistisch-buddhistischen Kultur aufgewachsen sind. Es gab Bilder, die ungeheuer fein und detailreich hinduistische Götterwelten oder buddhistische Lebensräder darstellten.

Es gab auch etliche Portraits bekannter Persönlichkeiten in einem modernen hinduistischen Stil. Hier handelt es sich um eine Serie von Sunil Sigdel, der unter der ironischen Bezeichnung „peace owners“ Donald Trump, Vladimir Putin und Mao darstellt. (Ernst beiseite, ich finde Trump gewinnt in dieser Darstellung).

Was mir an der Ausstellung und auch an dem Katalog sehr gut gefällt, ist, dass die Künstler selbst zu Wort kommen und ihre Werke kommentieren. So schreibt Sunil Sigdel zu seinen „peace owners“

„Peace Owners ist eine Satire auf Führer auf der ganzen Welt und ihr Wettrüsten im Namen der Friedenssicherung. Ich habe ihre Portraits mit buddhistischer Bildsprache durchdrungen, Motive aus den traditionellen Newar-Paubha und tibetischen Thanka-Werken aufgenommen und ihre kriegsähnliche Haltung Symbolen des Buddhismus gegenüber gestellt, die für Frieden stehen.“

Etliche Installationen wurden auch ausgestellt. Sehr beeindruckt hat mich eine von Sheelasha Rajbhandari genannt „Agony of the New Bed“ aus der der Serie „Marriage Taboos“, in der es um die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen geht. Die Installation besteht aus einer großen Anzahl vergoldeter Betten mit Frauenportraits darin.

Ein sehr interessanter Nachmittag im Wiener Weltmuseum

 

Besessen oder gespalten ? 46. Station der Literaturweltreise – Nigeria 3

43. Station der Literaturweltreise – Nigeria 3

 

Akwaeke Emezi

„Süsswasser“

2018

Als „poetisch“ und „verstörend“ wird dieses Buch beschrieben und da kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen: sehr poetisch und sehr verstörend. Es ist der überaus vielversprechende Erstlingsroman von Akwaeke Emezi, 1987 in Nigeria geboren, heute in den USA lebend. Ich winde mich um das Fürwort, weil sie eine non-binäre Transgenderperson ist. Auf den Fotos, die ich gesehen habe, sieht sie aber immer weiblich gestylt aus.

In diesem Roman gibt es den Körper einer Protagonistin, Ada genannt. Die „Ich“ bzw „Wir“- Erzähler sind jedoch fast ausschließlich, die MitbewohnerInnen des „Marmorsaals“, wie ihr Kopf oder auch das Zentrum ihrer Identität genannt wird. Es sind verschiedene recht unterschiedliche Wesenheiten

„Wir kamen von irgendwoher – alles kommt von irendwoher. Wenn dieser Übergang von Geist zu Fleisch beendet ist, sollten die Tore eigentlich wieder geschlossen werden. Das wäre barmherzig, alles andere grausam.Vielleicht hatten die Götter es vergessen; manchmal sind sie so zerstreut.Nicht aus Böswilligkeit – zumindest nicht für gewöhnlich. Aber am Ende sind sie Götter und kümmern sich nicht um das, was mit Fleisch passiert, vor allem weil es so langsam und langweilig ist, fremdartig und grob. Sie schenken ihm nicht viel Aufmerksamkeit, außer wenn es gesammelt, organisiert und beseelt wird.

Als sie (unser Körper) sich in die Welt hinaus gekämpft hatte, glitschig und lauter als ein Dorf aus Stürmen, blieben die Tore offen. Wir hätten inzwischen in ihr verankert sein müssen, schlafend in ihren Membranen, mit ihrem Bewusstsein verbunden. Das wäre der sicherste Weg gewesen. Aber weil die Tore offen standen und nicht verschlossen waren gegen die Erinnerung, waren wir verwirrt. Wir waren beides gleichzeitig, alt und neugeboren. Wir waren sie und doch nicht. Wir waren nicht bei Bewusstsein, aber wir waren am Leben – genau genommen bestand das Hauptproblem darin, dass wir ein deutlich unterscheidbares Wir waren, statt ganz und ausschließlich sie zu sein.“ p.12

Die Autorin/derAutor stammt aus zwei Kulturen: Igbo (ein nigerianisches Volk) und Tamilen. Beide Völker haben eine dicht bevölkerte Geisterwelt in ihrer Tradition. Ich konnte nicht herausfinden, ob es sich bei den verschiedenen sie „reitenden“ Wesen um Gottheiten, Geister, Dämonen oder aufgrund einer Vergewaltigung in ihrer Kindheit abgespaltene Persönlichkeitsanteile handelt. Während des lesens scheint manchmal das eine wahrscheinlicher manchmal das andere. Wie auch immer, ist es ein faszinierendes, mitreißendes Buch, das ich ganz unabhängig von der Handlung auch nur wegen der Sprache mit ihren hervorragenden  Metaphern gelesen hätte.

Ich habe auch eine längere Rezension im Spiegel gefunden, falls sich jemand näher interessiert  https://www.spiegel.de/kultur/literatur/suesswasser-von-akwaeke-emezi-viele-ichs-zum-ueberleben-a-1225682.html

 

Durch die Welt lesen in Zeiten des Klimawandels

Meine Literaturweltreise läuft derzeit sehr langsam, ist aber keineswegs beendet. Ich habe in letzter Zeit vieles gelesen, aber von Autoren aus Ländern, die auf meiner Liste alle schon vorgekommen sind, teilweise sogar mehrmals. Demnächst möchte ich daher gerne in afrikanische Länder expandieren, vielleicht auch in arabische und werde demnächst einmal auf die Suche gehen

Tatsächlich sind es bis jetzt nur 31 Länder, die ich lesend besucht habe, was nicht besonders viel ist. Meine „Reiseseite“ ist auch etwas vernachlässigt, weil es so mühsam ist, die Länder auf der Karte, die ich verwende einzutragen. Man muss jedes Mal alle löschen und alles neu eingeben. Ich habe mich aber auch noch nicht nach einer Alternative umgesehen.

Man kann sagen, dass es absurd ist, nach diesen Kriterien seinen Lesestoff auszusuchen. Mag sein, aber ich finde es auch ziemlich bereichernd, nicht nur vom literarischen Standpunkt aus. Das Eintauchen in völlig fremde Welten und Denkweisen bringt so manche Erkenntnis mit sich.

Bedauerlich ist, dass „Weltraum, Zukunft“ nicht zu den bereisten Orten gezählt wird. Da hätte ich drei Bände von Becky Chambers zu bieten, die ich kürzlich gerne gelesen habe. Erfreulicherweise haben sie dem F. auch gefallen. Japanische Bücher habe ich auch schon mehrere auf der Liste und solche aus Israel, will also die zuletzt gelesenen nicht mehr dazuschreiben.

Die erste Hitzewelle des Sommers ist ja schon da und da würden sich Bücher von den Polen anbieten, vielleicht Grönland oder Feuerland. Sibirien eignet sich schon nicht mehr. Ich habe gehört, dass dort schon der Permafrostboden auftaut und dadurch sehr gefährliche Situationen entstehen, weil Häuser einsinken und instabil werden. Wohin man schaut, der Blick fällt auf den Klimawandel …

42. Station der literarischen Weltreise – Kanada

Die Reise geht weiter. Diesmal besuche ich Margaret Atwood in Toronto.

Margaret Atwood

„Die Unmöglichkeit der Nähe“

Den deutschen Titel des Buchs kann ich sehr gut nachvollziehen. „Die Unmöglichkeit der Nähe“ beschreibt eindringlich die Beziehungen der drei Protagonisten zueinander und zu anderen . Der englische Originaltitel „Life before Man“ ist schwieriger, weil in so viele verschiedene Richtungen interpretierbar.

Es geht mir mit diesem Buch wie mit dem „goldenen Tagebuch“ von Doris Lessing. Ich sehe und anerkenne die literarische Qualität, aber beide Bücher deprimieren mich. Vielleicht hat das mehr mit mir als mit den Autorinnen zu tun. Wie auch immer. Ich schreibe hier ja keine Rezension sondern nur ganz kurze, persönliche Eindrücke. Ich habe sehr lange an dem Buch gelesen, weil es eben zufällig in eine Zeit gefallen ist, in der ich gerade abends für ein paar Seiten Zeit hatte. Wahrscheinlich bekommt diese Art von fragmentarischer Lektüre keinem Buch, weil man in keinen Lesefluß hineinkommen kann.

Die äußere Handlung des Buchs ist höchst einfach: drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann sind in eine komplizierte Dreiecksbeziehung verflochten, an der auch noch andere rezente und ehemalige Liebhaber*innen beteiligt sind. Es wird vom Standpunkt der drei Hauptpersonen aus erzählt, aber nicht in Ich-Form. Die Kindheit aller drei Hauptpersonen wird aufgerollt und zeigt ganz verschiedene Welten, die zunächst nur aus der Kinder-Perspektive gesehen werden, dann gewinnen aber die Mütter, Tanten und Großmütter auch realistische Züge durch den Erwachsenen-Blick der Hauptpersonen. Dieser Aspekt des Buches hat mir sehr gut gefallen.

Die mit dem Titel des Buchs „die Unmöglichkeit der Nähe“ sehr treffend beschriebenen Liebesbeziehungen fand ich durchwegs labyrinthartig, durchaus realistisch und daher ziemlich deprimierend. Glücklich ist niemand, auch nicht so richtig dramatisch unglücklich, eher alles lauwarm. Mit Ausnahme der Trauer der einen Hauptfigur über den Selbstmord ihres Liebhabers. Damit beginnt der Roman: man steht sofort mitten in den schwierigen Verhältnissen: der Liebhaber von Elizabeth hat Selbstmord begangen, ihr Ehemann Nate versucht, sie in dieser Situation zu unterstützen. Er nützt seinerseits auch die Gelegenheit sich von seinem rezenten, erkalteten Verhältnis mit Martha zu befreien. Und so geht der Reigen weiter, alle sind irgendwie unglücklich, niemand kann jemand anderen erreichen, alle Arten von Beziehungen erzeugen mehr Frust als Glück, werden aber dennoch weitergeführt, irgendwie ….

40. Station der Leseweltreise – Marokko

Leila Slimane

„Sex und Lügen“

Btb

Die Reise

„Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt“ lautet der Untertitel des Buchs. Die Autorin erfüllt diese Ansage nicht durchgehend. Es werden wohl einige Gespräche mit marokkanischen Frauen widergegeben, aber hauptsächlich geht es um eine Analyse der marokkanischen Gesellschaft durch die Autorin.

Leila Slimani ist in Marokko geboren, als die mittlere dreier Töchter des Ökonomen Othman Slimani. Sie besuchte die Schule in Rabat. 1999 ging sie nach Paris und studierte Medien und Politik.

Es ist eine durchaus interessante Beschreibung und Analyse der marokkanischen Gesellschaft, die allerdings nur Slimanis persönliche Meinung und Erfahrung wiedergibt. Wobei man auch berücksichtigen muss, dass sie seit annähernd zwanzig Jahren in Frankreich lebt.

Zusammengefasst wird die marokkanische Gesellschaft als eine beschrieben, in der die wichtigste Regel lautet „Macht, was ihr wollt solange niemand davon erfährt“ (p.18) Die Jungfräulichkeit der Frauen vor der Ehe wird verherrlicht und das Familiengesetz schreibt vor, dass vor der Ehe ein Keuschheitszertifikat zu erbringen ist, es werden jedoch zahlreiche Möglichkeiten zur „Wiederherstellung der körperlichen Jungfräulichkeit“ angeboten.

„Als Frau erwachsen zu werden, ist ein mit Demütigungen gepflasterter Weg. Vor der Polizei und dem Gesetz ebenso wie in der Öffentlichkeit ist es von Nachteil eine Frau zu sein. Wie der türkische Autor Zülfü Livaneli in seinem Roman „Glückseligkeit schreibt, ruht im gesamten Mittelmeerraum der Ehrbegriff im Schoß der Frauen. Eine Bürde, an der die Hälfte der Bevölkerung schwer trägt. Derart idealisiert und mystifiziert, ist die Jungfräulichkeit ganz offensichtlich ein Zwangsinstrument um die Frauen ans Haus zu binden und sie unausgesetzt zu überwachen. Statt einer Privatangelegenheit ist sie Gegenstand kollektiver Besorgnis. Darüber hinaus stellt sie eine lukrative Einnahmequelle für all jene dar, die jeden Tag Dutzende Hymen rekonstruieren, oder für die Anbieter falscher Jungfernhäutchen, die beim Geschlechtsverkehr bluten sollen. Die sexuelle Misere ist, wie wir sehen werden, ein Markt wie jeder andere.“ p.28

Bemerkenswert finde ich noch, dass Leila Slamani explizit darauf hinweist, dass die Situation wie sie ist nicht dem Islam zugeschrieben werden kann.

„Denn die muslimische Religion kann vor allem als eine Ethik der Befreiung, der Hinwendung zum anderen, als persönliches Wertesystem verstanden werden, und nicht nur als manichäische Sittenlehre“ p. 17

Insgesamt recht interessant, aber nicht wissenschaftlich fundiert.