Schlagwort: China –

Überschlagende physikalische Phantasie

Cixin Liu

„Jenseits der Zeit“

Heyne 2019

Es handelt sich hier um den 3. Band von Cixin Lius Science-Fiction-Trilogie, deren erste Bände „Die drei Sonnen“ und „Der dunkle Wald“ heißen.

Über den ersten Band habe ich hier berichtet:  „Die drei Sonnen“.

Im zweiten Teil bereitet sich die in  neue Reiche und Gruppierungen aufgeteilte Menschheit auf den kriegerischen Zusammenstoß mit den Außerirdischen vor. 400 Jahre vor dem errechneten Datum der Begegnung beginnen die Vorbereitungen.  Diese Haupthandlung wird durch diverse Nebenhandlungen umflossen, die immer wieder völlig unerwartete, überraschende Wendungen bringen. Eine Kontinuität der handelnden Personen wird durch den Kunstgriff des Kälteschlafs erreicht.

Faszinierende Zukunftsbilder gibt es in diesem Roman. Etwa das Peking des 24sten Jahrhunderts, unterirdisch, ökologisch, schwebend… Oder die drei Weltraumflotten, die die Regierungen der einzelnen Länder ersetzt haben.

Im Laufe der Handlung gibt es mehrere verblüffende Wendungen und man muss bis ganz ans Ende warten um zu erfahren, was denn der dunkle Wald ist. Das Ende führt nochmals in eine ganz andere Richtung und so klingt das Buch anders aus, als es begonnen hat.

Cixin Lius blühende Fantasie hat aber auch für den dritten  Band noch einige Überraschungen auf Lager. Leider fehlt es mir an ausreichendem physikalischen Wissen um beurteilen zu können wie weit der Autor zu Beginn der Handlung die Pfade des Möglichen verlässt. Später wird alles so phantastisch, dass er diese Pfade ganz eindeutig verlassen hat.

Die Handlung lässt sich nicht in ein paar Sätzen nacherzählen, was ich ohnehin nicht tun möchte, schließlich gehört die Überraschung zum Lesevergnügen und Cixin Liu hat viele äußerst überraschende Elemente eingebaut. Wiederum geht die Handlung in eine ganz andere Richtung als ich erwartet hätte.

Auch im dritten Band wird die Kontinuität der Handlung durch mehrere Personen gehalten, die mehrmals Jahrhunderte im Kälteschlaf verbracht haben, dann wieder geweckt wurden und so die ganze Geschichte lang präsent sind. Andere wichtige Personen werden als Helden der Geschichte auch immer wieder erwähnt.

Auf manchen Strecken im dritten Band war mir die Geschichte etwas zu physik-lastig, aber das wurde in anderen Passagen wieder ausgeglichen und insgesamt hat mir auch der dritte Band sehr gut gefallen, wenn auch nicht ganz so gut wie der erste.

Neuer Aufbruch in der Literaturweltreise 37. Station

In  den letzten Wochen hatte ich wirklich viel Zeit zum Lesen. Nachdem der F und ich beide sehr gerne und sehr viel lesen, haben wir auch immer genügend „Material“ herumliegen und so bin ich wieder zu einer etwas intensiveren Phase der Literaturweltreise aufgebrochen. Das letzte Quartal des Jahres bei Yvonne ist ja noch nicht vorbei.

Xiaolu Guo

„Es war einmal im Fernen Osten“

Es ist die Autobiographie einer chinesischen Autorin und Filmemacherin, die heute in Berlin lebt und in den 1970er Jahren in Südchina aufgewachsen ist.

„Ich kam als Waise zur Welt. Nicht, weil meine Eltern gestorben waren, nein, sie waren beide quicklebendig. Doch meine Eltern haben mich weggegeben. (…) Gleich nach meiner Geburt wurde ich zu einem Bauernpaar gebracht, das in einem entlegenen Bergdorf unserer Provinz am Ostchinesischen Meer lebte“ p.19

Aber auch diesen „Adoptiveltern“ wird das Baby zur Belastung und so bringen sie sie zu ihren Großeltern in ein Fischerdorf auf der Halbinsel Shitang. Dort wächst Xiaolu auf bis ihre Eltern sie zu sich in eine größere Stadt holen.

Besonders eindringlich fand ich die Schilderung der Großmutter und deren sklavenähnlichen Lebens im Haus ihres Mannes :

„Meine Großmutter war eine gute, manchmal ein wenig ängstliche Frau. Obwohl sie fast nie einen Pfennig in der Tasche hatte, schaffte sie es immer, ein paar kleine Geschenke für die Kinder, die draußen auf der Straße spielten, zusammenzukratzen: Bonbons, Reisreste oder eine Handvoll bunter Muscheln. Sie war gutmütig, still und der bescheidenste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Ich bildete mir ein, dass ihr Buckel eine Folge dieser Demut war. Er machte sie langsam, sie konnte noch nicht einmal in einem normalen Tempo gehen. Natürlich spielten dabei auch ihre winzigen, gebundenen Füße eine Rolle, über die sie sich aber nie beklagte“ p. 29

Als 7jährige lernt sie ihre Eltern kennen und lebt von da an mit Eltern und Bruder in Wenling, wo sie 1980 eingeschult wird. Ihre Erinnerungen an ihre Kindheit sind nicht allzu gut, für westliche Leser*innen aber höchst interessant. Ihre Mutter war eine begeisterte Rotgardistin, ihr Vater dagegen ein „Klassenfeind“. Dieses – zumindest für meine Begriffe – ungewöhnliche Paar hat einen Sohn und eine Tochter, die sehr verschieden behandelt werden und einander auch nicht mögen. Die Familie wohnt in einem kommunistischen Wohnhof, dessen Beschreibung allein es schon wert gewesen wäre das Buch zu lesen.

Aus diesen Verhältnissen heraus gelingt es Xiaolu einen Studienplatz an der Filmhochschule in Peking zu ergattern. Während sie noch in China lebt, beginnt sie zu schreiben. Fasziniert hat mich auch ihre Beschreibung der chinesischen Zensur ihrer Romane, was warum geschrieben werden soll oder nicht geschrieben werden darf.

Der Roman beginnt damit, dass Xiaolu 2013 mit 40 Jahren in einem Londoner Krankenhaus eine Tochter zur Welt bringt und dann beschließt sich ihrer Vergangenheit zu stellen und ihre Mutter in China zu besuchen.

Cixin Liu, wieder einmal

Cixin Liu „Weltenzerstörer“ Heyne 2018

Chinesische Erstausgabe 2012

Zuerst war ich enttäuscht, weil ich dachte, dass dies der lang erwartete dritte Teil der Solaris-Trilogie wäre. Es ist aber nur ein schmales Bändchen, das als ersten Teil eine kurze Novelle enthält. Allerdings entwickelt sich auf knappen 70 Seiten eine durchaus fesselnde Geschichte, die sogar eine Prise skurrilen Humor enthält, ein Element, das ich bei Cixin Liu bisher nicht erlebt habe.

Die Menschheit bekommt von einer anderen intelligenten Species eine Warnung: ein fremdes, gewaltiges Raumschiff ist unterwegs um auch die Erde zu zerstören. Soweit wäre das nicht besonders originell. Was dann kommt, ist aber spannend und endet mit der völlig unerwarteten Information über die Herkunft des Raumschiffs und seiner Besatzung und hat auch noch ein weiteres Highlight für das Ende bereit. Ich verrate nur soviel, dass  Cixin Lius freundlicher Blick auf Ameisen, den die Leser schon aus dem zweiten Band der Trisolaris-Triologie kennen, wieder zum tragen kommt.

Das Büchlein enthält auch eine wirklich lesenswerte Abhandlung über die Entwicklung der Science Fiction in China aus einer Literaturgattung, die den Kommunismus verherrlichte und sich an die sovietische Jugendliteratur anlehnte zu einem Genre, das durchaus die Probleme der modernen chinesischen Gesellschaft behandelt, aber auch über das Schicksal der Menschheit spekuliert.

Weiters gibt es eine kurze Leseprobe des tatsächlichen 3.Bandes der Trisolaris-Trilogie „Jenseits der Zeit“. Ich war doch etwas verblüfft, dass diese Leseprobe im Jahr 1453 spielt, zu dem Zeitpunkt als Konstantinopel von den Osmanen erobert wird. Das erhöht die Spannung. „Jenseits der Zeit“ soll in der deutschen Übersetzung im April 19 herauskommen.

 

Einstimmung in die Drei Sonnen

Cixin Liu

„Der Spiegel“

Heyne Verlag: deutschsprachige Ausgabe 2017

ISBN: 978-3-453-31912-7

Dieses Buch enthält eine Novelle, „Spiegel“, einen Kommentar zu der Kosmogonie von Cixin Liu, eine Leseprobe aus „die drei Sonnen“, die ich schon mit großem Vergnügen gelesen habe und eine Leseprobe aus „der dunkle Wald“, dem zweiten Band der Trisolaris-Trilogie, die auf Deutsch noch nicht erschienen ist.

Cixin Liu ist ein neuer Stern am Himmel der Science Fiction, von dem wohl noch viel zu erwarten ist. Der Heyne Verlag hat sogar ein statement von Barack Obama auf dem Cover

„Spiegel“ ist auch ein recht faszinierendes Produkt von Cixin Liu. Wie in „Die drei Sonnen“ tauchen wir auch hier in wissenschaftliche Theorien ein, die die Grundlage für die Handlung darstellt. Hier geht es um die Erschaffung von Welten, um die Dimension der Zeit, um Reales und Virtuelles. Die Handlung ist in aktuelles chinesisches Leben eingebettet und allein schon dadurch wäre sie interessant.

21. Station der Leseweltreise – China

Bisher bereist

 

Ich bin begeistert !

Ein echter Science-Fiction-Roman:Wissenschaft ist ein wichtiger Teil der Handlung. Nachdem der Autor Techniker ist, kann man wohl davon ausgehen, dass die wissenschaftlichen Schilderungen sich im Bereich der Realität oder zumindest im Bereich des Möglichen befinden.

Ich werde nicht die Handlung nacherzählen. Es ist ein äußerst origineller Plot, in dem Physik und Astrophysik eine Rolle spielen, ebenso wie ein Computerspiel, das in Verbindung mit einer geheimnisvollen Organisation steht. Es gibt auch eine außerirdische Zivilisation, deren Beschreibung ebenfalls ein Beweis für sehr viel Kreativität ist. Die Bedeutung der außerirdischen Zivilisation wird vermutlich im zweiten Band steigen. Cixin Liu hat seine Geschichte als Trilogie angelegt. Leider ist mir das Buch gewissermaßen zu früh untergekommen, denn der zweite Band erscheint erst im März und der dritte irgendwann.

Sehr interessant finde ich auch, dass die Handlung in China spielt und Einblicke in die neue chinesische Geschichte und Politik bietet. Cixin Liu hat Personen geschaffen, von denen einige wohl typische Erscheinungen ihrer Zeit und des eigenwilligen chinesischen Kommunismus sind.

Hier geht es zu Yvonne unserer literarischen Reiseleiterin.

Daggi 4 – Die Konkubine von Shanghai

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Aufbau Verlag, Berlin 2011

Copyright Hong Ying 2005

ISBN 978- 3-7466-2707-6

Aufgabe 54: ein Buch mit mindestens 400 Seiten (es sind 459)

 

Meine erste Begegnung mit der Autorin fand über Frau Tonari statt. Sie ist book-crosser und hat dieses mir sehr interessant erscheinende Buch angeboten. Die Autorin beschreibt darin ihre Kindheit in einem Slum am Yang-tse in den 1960er und 70er Jahren. Das Buch hat mir so gut gefallen, dass ich mir gleich vier weitere Bücher der Autorin besorgt habe.

„Die chinesische Geliebte“ habe ich als zweites gelesen. Auch dieses Buch hat mir gefallen. Die Handlung spielt im China der 1930er Jahre und eine der beiden Hauptpersonen ist Julian Bell, ein Neffe von Virginia Woolf, der an einer chinesischen Universität englische Literatur unterrichtet und dabei die zweite Hauptperson kennenlernt. Skurril finde ich, dass dieses Buch in China 2003 verboten wurde, auch wegen pornographischer Darstellungen, vor allem aber wegen „Ahnenverleumdung“. Hong Ying meint dazu aber, dass es eigentlich wegen ihrer „kühnen Beschreibung weiblicher Selbstbestimmung“ zensuriert wurde.

„Die Konkubine von Shanghai“ finde ich verglichen mit den beiden anderen etwas enttäuschend. Der Text spielt im Shanghai des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. In China herrscht noch die Quing-Dynastie.

Angezogen hat mich der Hinweis der Autorin „Der Inhalt dieses Buchs ist nicht fiktiv; alle Charaktere und Ereignisse beruhen auf realen Vorbildern und Begebenheiten. Die Autorin ist auf eventuelle Klagen gut vorbereitet.“

Wenn ich das nicht vorher gelesen hätte, wäre mir die Handlung möglicherweise etwas klischeehaft vorgekommen: die Hauptperson, ein Waisenmädchen vom Land wird von ihrer Tante an ein florierendes Bordell in Shanghai verkauft. Auf ihrem weiteren Lebensweg wird sie die Geliebte von gleich drei aufeinanderfolgenden Anführern einer mächtigen Triade, dem Hong-Bund. An der Ermordung eines dieser Herren ist sie durch die Erarbeitung des Mordkomplotts persönlich beteiligt. Außerdem wird sie zu einer höchst populären Sängerin und Schauspielerin, die sogar einer volkstümlichen Form chinesischer Oper zu großem Erfolg verhilft.

Es gibt am Ende des Buchs auch ein Interview mit der Autorin und einen kurzen Abschnitt über politische und soziale Verhältnisse im damaligen Shanghai, zum Beispiel über Geschichte und Bedeutung der Triaden.

Insgesamt hat mir das Buch doch ganz gut gefallen, wenn auch nicht so gut wie die beiden anderen. Aber ich habe ja noch zwei weitere mit denen mich die Autorin vielleicht wieder begeistert …