Schlagwort: ABC-Etüden

ABC – Etüden – der unterschätzte Held

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Cynthia, der Querfühlerin
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) sind in einem Text von 300 Wörtern unterzubringen

Zu meiner Impulswerkstatt ist mir immer noch nichts eingefallen, aber eine Etüde hat mich aus einem Maulwurfshügel angelächelt. Hier ist sie ;

Eigentlich hatte er es niemandem erzählen wollen, gar niemandem. Er konnte sich gut vorstellen, welche Absichten man ihm unterstellen würde. Er lag ohnehin im Krieg mit seiner Umgebung, der physischen und der digitalen und diesen bösartigen Figuren wollte er keine weiteren Angriffsflächen bieten. Nur seinen besten, eigentlich einzigen Freund wollte er einweihen, denjenigen dem er auch die Wohnungsschlüssel geben würde und das Kuvert mit der Adresse des Notars.

Doch er musste eine herbe Enttäuschung erleben. „ja, bist du denn jetzt ganz deppert geworden ! Das darf ja nicht wahr sein! Da kannst dich aber einfacher umbringen!“ Auch Leo verstand ihn also nicht. Das hätte er nicht erwartet. Dass ihn die ignoranten Banausen seines Umfelds nicht verstehen könnten, war ihm schon klar gewesen, aber dass auch Leo so ein Kleingeist war, das hätte er nicht erwartet. Sein Entschluss war doch ein heldenhafter, lobenswerter, der ihn als Mann ins richtige Licht setzte. Als Mann, der zwar nicht mehr jung war aber mutiger als drei jüngere zusammengenommen.

In zwei Tagen sollte es losgehen. Alles war bereit. Es fehlte ihm nur eines: der bewundernde Abschiedsapplaus, die weinenden Frauen, die fahnenschwenkenden Männer, die eigentlich neidisch waren und seinen Mut bewunderten, oder doch zumindest das Verständnis und die Anerkennung seines Freundes, der doch in vielen Fragen seiner Meinung war obwohl die dumpfe Masse ganz anders dachte.

Es ließ ihm keine Ruhe. Allein der Tonfall in dem Leo seinen Entschluss kommentiert hatte. Wo blieb die begeisterte Zustimmung? Er hatte sogar gehofft, dass er sich fürs Mitkommen interessieren würde, diesen Gedanken aber wieder verworfen, weil ja jemand zuhause die Stellung halten musste. Nach langer Überlegung schließlich begrub er alle Zweifel, Sein Weg war richtig, heldenhaft und eine Chance für die Allgemeinheit. Diese spießigen Deppen mit den riesigen Scheuklappen konnten es nur nicht begreifen. Jawohl, die Fremdenlegion wartete auf ihn.

(300 Wörter)

ABC – Etüde – „heimatlos“

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von der Puzzleblume
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

Mit dem Begriff „heimatlos“ kann ich nicht recht viel anfangen. Einsam, unglücklich, verzweifelt, ja, aber heimatlos? Meine Heimat trage ich doch in mir, wo immer ich auch bin. Lebenserfahrungen, Erinnerungen, Verbindungen mit Menschen und Orten, die mir wichtig sind, die ich liebe, meine Muttersprache machen meine Heimat aus, die als Gefühl und Befindlichkeit überall auftreten kann, wenn die grundlegenden Bedingungen erfüllt sind.

Vertraute Sprache, regional ausgelegt, ist für mich ein wichtigerer Aspekt des Heimatgefühls als der Ort. Auch wenn ich in anderen Sprachen durchaus zuhause bin, so ist die Muttersprache doch etwas besonderes. Ich kann etwa von „Abendbrot“ sprechen, wenn es denn sein muss, aber „Nachtmahl“ hat für mich eine andere Qualität. Regionale Unterschiede kommen mir manchmal sogar gravierender vor als eine andere Sprache.

Was zeichnet denn nun den Ort aus, den wir Heimat nennen, den Ort an dem wir aufgewachsen sind? Bestimmte Menschen, eine bestimmte Landschaft, Sprache und Kultur? Der Ort hat sich in Jahrzehnten verändert, auch die Menschen, manche gibt es nicht mehr, andere sind sehr alt geworden. Vieles hat sich verändert, wenn nicht gar alles. Relativ unveränderlich bleibt nur die Landschaft, aber auch diese Unveränderlichkeit ist sehr relativ. Wenn sich auch ein Berg oder ein See nicht sichtbar verändern, so doch alles um sie herum. Heimat ist eben keine Konstante. Man sieht das gut an Menschen, die voller Sehnsucht an ihre „alte Heimat“ denken. Tatsächlich gibt es den Ort so wie sie ihn in Erinnerung haben nicht mehr. Es bleibt ihre Erinnerung daran, die mit den heutigen Verhältnissen sehr wenig zu tun haben kann.

Um mich heimatlos zu fühlen, müsste ich mich selbst verloren haben, nicht mehr in mir selbst ankern, kein Teil von verschiedenen Gemeinschaften mehr sein, emotional frei im Weltraum schweben. Ob dies vielleicht aber sogar erstrebenswert wäre, die echte Freiheit, ist ein anderes Thema.

300 Wörter

Das war eine sehr schwierige Übung. Ich habe den Text in genau 300 Wörter gesperrt, bin aber nicht sehr zufrieden damit und hätte gerne noch ein paar gedankliche Schleifen gezogen, eigentlich nicht nur ein paar sondern eine ganze Menge, denn das Thema gibt viel her. Vor allem der Aspekt der Freiheit versus eingefahrener Denk- und Handlungsmuster, der Faktor Zeit in emotionalen Verbindungen … Ich könnte vom hundertsten ins Tausendste kommen. Vielleicht ein anderes Mal.

Unterwürfigkeit – ABC-Etüde

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Werner Kastens
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

Das ist eigentlich keine Etüde geworden. sondern … was auch immer. Trotzdem ist es zu meiner Verwunderung gelungen auch die beiden anderen Wörter unterzubringen und ich wollte nicht den ganzen Februar lang bei den Etüden nicht dabei sein.

Unterwürfigkeit ist keine angeborene Eigenschaft des Menschen, es ist eine Strategie, aus Angst entstanden. Der Angst vor dem Verlust von Liebe, Geborgenheit, Verständnis, Wertschätzung. Wir Menschen sind soziale Wesen und nur sehr wenige von uns sind so geartet, dass sie ohne jede Art von Zuwendung auskommen.

Unterwürfigkeit begegnet man in allen Bereichen des Lebens. Vor allem Frauen wurden und werden teilweise immer noch dazu erzogen, zu Unterwürfigkeit, Gehorsam den Stärkeren gegenüber. Man könnte es auch Speichellecken und Kriechen nennen oder Bravsein.

Unterwürfigkeit kann sich in sozialen Kontakten äußern, im beruflichen Umfeld, aber auch im Bereich der Freizeitgestaltung. Hier sind wieder eher Männer betroffen. Um dem Alpha in der Gruppe zu gefallen, haben schon viele bei Sportwetten, an einarmigen Banditen, bei der Peep-Schow , beim gemeinschaftlichen Saufen etc ihr in vielen Fällen ohnehin nicht großes Vermögen verjubelt. Ist jemand dann völlig verschuldet – mit allen Konsequenzen – fördert dies weitere Unterwürfigkeit aus der Angst heraus jemanden zu verärgern, der die schwankende Balance der Situation zum Kippen bringen könnte.

Unterwürfigkeit führt meist zu extremer Konfliktscheu. Nur ja niemandem widersprechen, nur ja keine Konfrontation, nur ja immer allen zustimmen. Man kann es auch Harmoniebedürfnis nennen, jedenfalls führt diese Haltung dazu, dass diejenigen, die es immer allen Recht machen wollen, unweigerlich immer wieder in Situationen kommen, in denen sie allen Personen zustimmen wollen, obwohl sich deren Standpunkte nicht vereinbaren lassen. Dadurch geraten die Unterwürfigen in sehr unangenehme Lagen, die genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie erreichen wollen: von allen geliebt und geschätzt zu werden.

Unterwürfigkeit ist eine Verhaltensweise mit der das genaue Gegenteil von dem erreicht wird, was eigentlich beabsichtigt ist. Speichellecker werden eher verachtet als geschätzt, sie werden auch nicht ernst genommen und mit etwas Pech auch noch als Lügner und Opportunisten eingeschätzt.

Unterwürfigkeit, eine Strategie, die auf der ganzen Linie immer nur versagt.


(300 Wörter)

ABC -Etüden – Das Mitarbeitergespräch

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Ludwig Zeidler
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

Außerdem passt der Text auch zur Impulswerkstatt

Hallo Günther, komm nur herein,

Was gibts denn Chef? Krisenmodus haben alle gesagt.

Also Günther, ich habe da eine Beschwerde gegen dich. Ihr habt´s ja in der Abteilung eine neue Mitarbeiterin …

Das fleißige afrikanische Mädl ?

Genau da liegt das Problem Günther. Mädl gibts keine mehr und schon gar keine afrikanischen. Ein alter, weißer Mann wie du hat von „afrikanischen Menschen“ zu sprechen! Das Mädl … äh die Person könnte geschlechtsfluidid oder divers oder weiß der Teufel was sein.

Alt? du weißt doch Chef, dass ich 41 bin.

Das hat damit gar nichts zu tun. Da geht es um Gendergerechtigkeit und postkoloniale Themen und nicht ums Alter. Außerdem sollst du zu dem afrikanischen Menschen gesagt haben ….

Um welchen afrikanischen Menschen geht es denn da noch?

Na, das Mädl!

Ahso,

Also du sollst zu ihm/zu ihr/zu es, was weiß ich, gesagt haben, dass sie/es/umpf so gut deutsch spricht.

Ja, hab´ ich, stimmt ja auch

Aber Günther, so was beleidigendes kannst du doch nicht sagen. Die Person könnte doch hier aufgewachsen sein.

Ist sie aber nicht, das hört man doch am Akzent. Außerdem hat sie erzählt, dass sie aus Burundi ist. Und was hätte ich sagen sollen: dass sie faul ist und dass ich ihr empfehle besser deutsch zu lernen?

Günther, du verstehst überhaupt nicht, worum es geht.

Nein, das stimmt nicht

Obendrein sollst du sie auch noch schief angesehen haben, so gönnerhaft-diskriminierend wie die alten Missionare das mit ihrer Großmutter gemacht haben und genauso hat sie sich auch gefühlt. Also, bitte Günther, was hast du dazu zu sagen?

Ich glaub, am besten versetzt du mich in die Abteilung 17. Dort haben sie so ein gutes Arbeitsklima und abgesehen von den steirischen Menschen*) arbeiten dort auch Leute aus fünf verschiedenen Ländern mit denen man ohne sprachliche Verrenkungen umgehen kann und ohne Abhandlung postkolonialer Themen.

(300 Wörter)

Die Steiermark ist ein österreichisches Bundesland, dort leben die Steirer und Steirerinnen, die hier analog zu den „afrikanischen Menschen“ statt den „Afrikanern“ als steirische Menschen bezeichnet werden

Wenn sich die Bäume gen Himmel recken

Hier nochmal meine gestrige Adventüde bei Christiane

Wahrscheinlich war es doch eine Schnapsidee«, sagte sie zu sich selbst. Zu wem auch sonst. »Weihnachten im Kurhaus, absurd!« Sie schmetterte die Autotür zu und ging in Richtung Rezeption. In der Halle ein gewaltiger bunter Christbaum, dekoriert mit kleinen Wunschzetteln, aus einem Lautsprecher kam synthetisches Kerzengeknister. »Fehlt nur noch die Blockflöte«, dachte sie, »und die blinkenden Rentiere.«

»Ein fröhliches Weihnachtsfest«, wünschte die strahlende junge Frau an der Rezeption. »Ja, genau, Fröhlichkeit ist in dieser Jahreszeit meine besondere Stärke«, murmelte sie.

»Ein schönes Fest«, trompetete eine Frau, die sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer traf. »Wunderschön wird es sicher.« Es wunderte sie, dass ihr Zynismus nicht von ihren Fingern in den Teppich tropfte, Wellen erzeugte und alle Vorbeikommenden stolpern ließ.

»Gesegnete Weihnachten«, wünschte ein alter Herr im Bademantel, der in Richtung Schwimmbad unterwegs war. »Auch im Weihwasserbecken kann man ersaufen«, dachte sie und rollte die Augen. Ihr Unbehagen wurde größer und vom Zynismus nicht mehr eingedämmt.

»Schöne Feiertage«, dröhnte der Kellner beim Abendessen. Mittlerweile war ihr zum Schreien zumute. Alle diese Leute trieben in einem glückseligen Gemeinschaftsgefühl mit dem Konzept »Weihnachten« im Mittelpunkt. Engel und Geklingel, Geschenke und vor allem Wunder. Ohne Wunder ging es gar nicht. In jeder Small-Talk-Begegnung war zumindest von einem Wunder die Rede oder davon, dass irgendetwas stattfand, »weil doch Weihnachten ist«. Sie fühlte sich als Einzige ausgeschlossen aus diesem kollektiven Wahn, wollte auch gar nicht zu dieser Gruppe gehören.

»Sie gehen sicher morgen auch in die Messe«, sagte ihre Saunanachbarin ohne den leisesten Zweifel in der Stimme. »Nein«, antwortete sie klar und deutlich, »nein, ich bin nicht gläubig und Weihnachten bedeutet mir nichts.« Betretenes Schweigen.

Am Nachmittag ging sie in den wolkenverhangenen glitzernden Wald. Die Bäume wiegten sich und es begann zu schneien. Der Winter winkte und lachte komplizenhaft. Und sie gehörte dazu, eindeutig.

ABC – Etüden – Er und sein Ego

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von mir
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

Mein Ego hat auch ein bissl mitgeschrieben, aber ich habe ihm immer wieder auf die Finger geklopft.

Sein Ego befand sich gerade auf dem Höhepunkt, prall aufgeblasen schwebte es beinahe. Es hielt ihn, beschützte ihn vor der Welt, wie ein innerer Airbag.

Er schlenderte durch die Straße, musterte alle Passanten und befand sie als absolut verachtenswert, kleinkariert, ahnungslos, dumm und ungebildet. Alles Schafe, die dem Mainstream folgten und nie und nimmer auf seiner Augenhöhe ankommen konnten. Das Ego summte, vielleicht schnurrte es sogar.

Gruppen von Menschen zu verunglimpfen und zu beleidigen machte schon Freude, man konnte mit Klischees arbeiten und mit Vorurteilen, die immer gut griffen. Noch viel mehr gab es allerdings her, Einzelpersonen lächerlich darzustellen. Das Ego verfügte über eine Fülle von Vorurteilen und Bosheiten, die man über jemanden stülpen konnte.

Er bemerkte nicht, dass seine eigenen Qualitäten und Fähigkeiten in dem stinkenden Sumpf auch verschwanden. Ebensowenig bemerkte er, dass viele, die schon von seinem Ego angerempelt worden waren, wenn sie ihn kommen sahen lieber die Straßenseite wechselten, dabei entweder seufzten oder die Augen verdrehten. Die wenigen, die sich nicht abschrecken ließen, bedauerten dies immer wieder, wenn auch sie mit Dreck beworfen wurden.

Mann und Ego stolzierten weiter, in Richtung ihres vermeintlich unendlich weiten Horizonts und übersahen dabei vieles, auch eine unbekannte Pflanze auf ihrem Weg. Ein kleiner Piecks und das Ego fiel in sich zusammen. Zurück blieb ein verlorenes Männchen.

Doch er war ein Kämpfer. Auf allen Vieren kroch er weiter, unter den Sohlen vieler, die er gerne beschimpfte. Sein Kopf arbeitete, entwarf aus dem Nichts heraus herabsetzende Bilder seiner Feinde, die zwar wenig mit realen Gegebenheiten zu tun hatten, aber egal, er merkte schon, dass sein Ego wieder erste Lebenszeichen von sich gab, das Zischen des Aufblasens war zu hören. Die Krise war wohl überwunden, der eingetretene Schaden repariert. Da gab es doch die und den, mit denen er sich ausgiebig abwertend beschäftigen könnte.

(300 Wörter)

Misslungener Karrieresprung oder Am Ende war das Chaos- ABC Etüden

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Gerhard
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

“ Nein, nein, nein ! Schnitt – Im Skript steht „Ach, Herr Korbinian“ hauchte das Fräulein. „hauchte“ nicht „quietschte“. Und du, Markus, bist der Klavierlehrer, der das Fräulein keusch aus der Ferne verehrt, du kannst doch nicht so grob auf die Tasten einhacken wie beim Holz fällen !“

Der Regisseur und Kameramann schwankte zwischen Empörung und Verzweiflung. Es war ihm ja klar gewesen, dass sein Darstellerteam, das auf Pornos spezialisiert war eine gewisse Einarbeitungszeit in das neue Genre brauchen würde, dass sie sich aber so ungeschickt anstellen würden, hatte er doch nicht vermutet.

Die Dekoration in der sich die romantische Szene abspielen sollte, stammte aus dem Erfolgsstreifen „Alle meine sexy Vogerln“ und das Klavier war ein wichtiges Requisit aus „Geil auf der Alm“. Auf die subtile Doppelbedeutung dieses Titels war der Regisseur, Kameramann und Autor besonders stolz, und darauf, dass sich die Handlung an Antels „Blutjung und liebestoll“ anlehnte.

„Was ist denn das überhaupt für ein Schmarrn ? Wer hat denn dieses Skript verbrochen?“ rief das Fräulein und die Fehlbesetzung des keuschen Klavierlehrers unterstützte sie mit einem gebrüllten „genau!“

Der Regisseur und Kameramann seufzte. Er sah seine Felle davonschwimmen. Eine Karriere à la Franz Antel war ihm vorgeschwebt: von Porno über Kitsch zu höheren literarischen Weihen. Mit diesen Darstellern schien das Projekt aber zumindest gefährdet und andere konnte er sich nicht leisten.

„Also gut: raus aus dem Reifrockkleid, rein in die Strapsen. Du Markus musst…..“
„Dafür brauchen Profis wie ich keine Regieanweisungen“ gröhlte Markus und landete schwungvoll mit dem nackten Hintern auf dem Klavier. Das Klavier, verwirrt über den plötzlichen Umschwung, krachte zusammen, der Regisseur und Kameramann brach in Flüche aus, die er aus der untersten Schublade des Repertoires eines Pornoproduzenten holte und das Fräulein? Das Fräulein ließ ihren gebotoxten Busen fröhlich hüpfen, brüllte „Ach, Herr Korbinian“ und schwenkte ihr Korsett wie eine Fahne.

(299 Wörter)

Drei Geschlechter – Impulswerkstatt + Etüde

Hier gehts zur Einladung zur Impulswerkstatt September-Oktober

Und hier zur Etüdeneinladung September

Man lese die Figuren von rechts nach links. Das ist ungewöhnlich, üblicherweise lesen wir Bilder von links nach rechts, aber in diesem Fall würde das nicht passen

Der Mensch war geschaffen und sollte auch nicht gleich wieder vernichtet und durch anderes ersetzt werden, wie es unter den Göttern sonst Brauch war. Vorläufig keine Sintflut, keine Brände, keine Erdbeben. Doch schon in diesen uralten Zeiten zweifelte die Göttin Afglapia, die die Verantwortung für diesen Teil der Schöpfung trug an ihrem Werk.

Die erste Version dieses etwas missglückten aber doch voller Potential steckenden Wesens schien ihr noch unausgegoren. „Abgrundtiefer Misserfolg“ murmelten die anderen Götter hinter ihrem Rücken. Vor allem
der Schöpfer von Ameisen und Bienen tat sich bei der Kritik der Kollegin sehr hervor.

Afglapia erschuf daher eine zweite Version. Nachdem sie die ursprünglichen Menschen etwas zu passiv fand, eingeigelt in ihre jeweiligen eigenen Angelegenheiten, schenkte sie ihnen die aus der Sexualität kommenden Energien. Sie hatte allerdings die damit verbundenen wild lodernden Aggressionen nicht bedacht. Die Geschöpfe des zweiten Menschengeschlechts rotteten einander systematisch aus. Es dauerte zwar relativ lange, aber nur weil die geringe Reichweite der damaligen Waffen das Morden etwas langsamer gestaltete als in späteren Zeiten.

Die unglückliche Göttin machte sich nochmals ans Werk. Die rotglühende Sexualenergie drosselte sie, verstärkte die Funktion des Gehirns und schraubte etwas an den Hormonsystemen herum. Die Mitgötter verdrehten höhnisch die Augen und murmelten „hoffnungslos“. Und tatsächlich gab es wohl eine kleine Verbesserung, aber auch eine enorme Verschlechterung, denn in der dritten Version des Menschen traten durch die etwas subtilere Gehirnschaltung heftige Emotionen auf: Neid, Gier, Eifersucht, Arroganz, Habsucht. Alle ihre Versuche, den positiven Emotionen wie Liebe und Empathie mehr Kraft zu verschaffen scheiterten.

So beschloss sie schließlich, die Menschen doch zu vernichten, aber noch nicht gleich. Aus auch ihr selbst unverständlichen Gründen, hatte sie ihre desaströse Schöpfung lieb gewonnen. Ein paar Vorboten des Untergangs wollte sie ihnen schicken und so eine Umkehr ermöglichen, aber sie glaubte selbst nicht an
ein positives Ende.

(300 Wörter)

Mein Schnucki, Impulswerkstatt und Sommerpausenintermezzo

Hier geht es zur Einladung zur Impulswerkstatt

Und hier zum Sommerpausenintermezzo

Die rosa Textteile sind natürlich nicht von mir. Ich hoffe, dass Christiane sie mir nicht übel nimmt, aber sie sind wahrhaftig keine Werbung und auch eindeutig als das zu erkennen, was sie sind.

Ich fühle mich oft von etwas zu viel Technik umgeben. Hologramme, künstliche Intelligenz, Bewässerungssysteme, Druckkochtöpfe…

„Hallo Schnuckilein“ sage ich zu meinem Laptop, den der F. ein paar Tage lang benützt hat „freust du dich, wieder bei deiner regulären Meisterin zu sein?
„Ochhh …“
„So, so“ sage ich, wenig erfreut.
„Es war toll“ flötet der Schnucki elektronisch zwitschernd “ was wir für Sachen miteinander gemacht haben, der F und ich, davon hast du ja überhaupt keine Ahnung.
„So, so“ sage ich nochmals, noch weniger erfreut.
„der F hat mir übrigens auch endlich Open Office installiert. Na gut zugegeben, das hättest du wahrscheinlich auch geschafft. Wenn ich allerdings daran denke, welche Texte du darauf schreiben wirst. An die herzzerreißenden, zauberschönen Werke von meinem neuen Freund kommen die sicher nicht heran“
Der Schnucki hat einen ganz neuen schmalzig-rosaroten Tonfall. „Zauberschön“ zum Beispiel hat er von mir nicht gelernt und vom F sicher auch nicht.
„Neuer Freund?“
„Ja, der F hat mich mit ihm bekannt gemacht. Ein Genie, eine Lichtgestalt der Elektronik, ein Halbleiter-Messias. Und Gedichte kann er schreiben, Gedichte! Zum Beispiel dieses:

Ein Stallknecht voller Tatendrang, trug stets eine Häkeljacke bunt und lang. Er führte die Sense mit kundiger Hand, sorgte für Ordnung im grünen Land.
Doch einmal fand er am Feldesrand , einen Hühnergott, klein und charmant. Er brachte Glück in sein Leben, dem Stallknecht Kraft und Beben.
Die Häkeljacke trug er mit Stolz, beschützte ihn vor Wind und Frost. Mit Kunst und Fleiß, Tag für Tag, schuf er Meisterwerke, schön und wahr.
So lebte der Stallknecht voller Glück, mit Hühnergott und Häkelstück. Mit Sense in der Hand, immer bereit, erntete er Dankbarkeit weit und breit.

„Äh….. „
„Ist es nicht ein Traum. Mein Herz bebt und ruckelt. So viel Schönheit und Poesie. Oder das: “

In einem Häkeljackentraum voller Glück, pflückte ich Johanniskraut am Bachstück. Ein Hühnergott lag am sandigen Strand, die Sense schwang der Stallknecht zur Hand.

„Diese sternstrahlenden Reime, diese tiefgründige Lebensweisheit. Oder das:“

In einem Dorf mit Häkeljacke,
blühte das Johanniskraut am Bachbett.
Der Stallknecht schritt mit Sense und Schritt,
auf der Suche nach dem Hühnergott, mit Glück.
Die Schaumkrone auf dem Wasser klärte,
ein Kugelfisch im Fluss, der sich versteckte. („der gärte“ hätte mir noch besser gefallen)

„Schnucki !! das kann doch nicht dein Ernst sein. Diese absurden, lächerlichen Aneinanderreihungen von Wörtern nennst du Gedicht?“
„Ich weiß gar nicht, was du willst, das erinnert mich doch …..“
„Das erinnert dich an gar nichts, du banausischer, unhöflicher Blechtopf. “

Was hat man meinem ehemals so freundlichen, nützlichen Laptop angetan ? Ich glaub, der muss neu aufgesetzt werden mit einem Schund-Abwehr-Programm und einer Trainingseinheit gegen Verführung durch falsche Heilsbotschaften und natürlich einer Anti-Kitsch-Schulung, einer ganz strengen. Ich schick ihn zur Umerziehung in ein chinesisches Lager!

„Wo wir nun schon dabei sind, Laptop, könnten wir unsere Beziehung ja überhaupt überdenken. Was hast du denn an mir noch so auszusetzen ?
„Wenn du schon fragst, die ewige Bedrohungslage durch mögliche Überflutungen aus deiner allgegenwärtigen Wasserflasche, kürzlich war es sogar Apfelkompott. Früher gab es da auch immer wieder grauenhafte Gebilde, die du „Cremetorten“ nennst und von deren Annäherungsversuchen ich mich kaum erholen würde.
Das „früher“ stimmt mich etwas gnädiger und ich stelle fest, dass der Schnucki schon auch einiges von meiner Sprache übernommen hat. Wenn ich ihn von dem blöden Chatbot fernhalte, geben sich seine Verirrungen hoffentlich wieder.
„Also die Wohnverhältnisse bei mir gefallen dir nicht. Beim F stehst du in gefährlicher Schieflage auf zwei anderen Laptops und fünf Büchern. Auf dir liegen dann Kopfhörer und blinkende externe Festplatten ganz zu schweigen von Nüssen in kleinen Säckchen“
„Schon wahr, schon wahr, aber dafür tosen wir durch spannende Codes, frei wie die Vögelein“
„Ich bitte dich, Schnucki, „Vögelein“. Kannst du nicht wieder zu einer laptopadäquaten, sachlichen Sprache zurückkehren, statt deinen verwirrten Haberer zu imitieren?“
„Vögelein habe ich von dir auch schon gehört“
„Aber doch nur ironisch bezüglich der städtischen Taubenplage“
„Und übrigens: Die himmelblaue Tasche, in der ich bei dir wohnen muss, ist auch nicht gerade ein Musterstück der Sachlichkeit“
„Was, die gefällt dir auch nicht, wo ich sie doch extra für dich gekauft habe? Deine Vorgänger haben alle in Schwarz gewohnt. „

„Ich sage ja gar nicht, dass sie mir nicht gefällt. Der neue Freund hat sie übrigens auch gelobt. „
Auch das noch, elektronisches Geschleime. Was der alles gelernt hat seit ich ihn drei Tage aus den Augen und Fingern gelassen habe !

„Wir könnten ja noch einen Versuch machen, Meisterin“ flötet der Laptop. Die psychologische Tour, auf „Meisterin“ reagiere ich mit Wohlwollen und lasse mich doch glatt von dem Blechtopf manipulieren. Na gut, einmal noch, der höchst zweifelhafte neue Freund bekommt neue Wörter zur Verfügung gestellt. Der Schnucki jubelt. Das wird ein harter, schwieriger Entzug werden. Wohlweislich hat sich der F für zwei Tage zu einer Planungssitzung nach Oberösterreich verzogen. Also:

Dürre quält die Natur, kein Regen in Sicht,
doch mit meiner Gitarre verfliegt das Leid.
Ein Malheur: Saitenriss, doch ich bin bereit,
repariere sie, spiele weiter im Licht.


“ Gut, Schnucki“ sage ich. „Ich gebe zu, dass dein Spezi die vorgegebenen Wörter recht originell verbunden hat, aber Gedicht ist das trotzdem keines. Er sollte sich auf Gebiete zurückziehen, in denen er wirklich nützlich ist und die Literatur den Menschen überlassen.“
„Diskriminierung elektronischer Wesen “ murmelt mein aufgehetzter Laptop. In die Debatte, ob man für Geräte eigene Pronomen verwenden sollte, steige ich jetzt aber nicht ein und verhalte mich absolut diktatorisch und obendrein rechthaberisch
„Damit beenden wir unsere Beziehungsdebatte, mein lieber Schnucki. Es geschieht weiterhin alles so, wie ich es haben will. Ich empfehle dir ein paar neue Freundschaften und erinnere dich abschließend daran, wer von uns beiden wen gekauft hat!“

So ist man halt manchmal gezwungen, mit der Technik wirklich klare Worte zu sprechen. Der Schnucki ist in der hellblauen Zelle. Zur Gesellschaft hat er H.C Artmann. Vielleicht wirkt das und er muss doch nicht neu aufgesetzt werden.

„Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein wort geschrieben oder gesprochen zu haben.“ höre ich es aus der hellblauen Tasche erstaunt murmeln. Das klingt ja schon sehr verheißungsvoll.

Exzentrik in Mümmelshausen -ABC Etüden

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Katha
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einem Text von 300 Wörtern unterbringen

Ich habe mich mit vielen, vielen Klischees vergnügt

Frau Huber, die Platzhirschkuh von Mümmelshausen redete entrüstet auf eine Bekannte aus dem Kirchenchor ein. „Unkonventionell ist untertrieben, die Frau ist schlicht und einfach verrückt! Ein gelber Gartenzaun mit weißen Pünktchen, Stand heute. Sie streicht ihn ja immer wieder neu. Im Mai waren es Marienkäfer und irgendwann Gedichte. Wenn die Leute geglaubt haben, dass sie niemand sieht, sind sie am Zaun entlang gegangen um sie zu lesen. Ich bitte dich, welcher normale Mensch liest denn Gedichte von einem Gartenzaun? Volksverhetzung ist das. Ich habe sie natürlich nicht gelesen, sowas brauche ich nicht.

„Mir gefällt der Zaun ganz gut“ sagte die Bekannte.

„Wie es in dem Riesenhaus und dem Gartenpavillon erst aussehen muss. Na, auf die Besichtigung dieser Örtlichkeiten kann ich gut verzichten! Die Verrückte hat ja den ganzen Ort eingeladen. Mit ihrem seltsamen Roller ist sie herumgesaust und hat Einladungszettel verteilt, für Sonntagnachmittag um drei und gute Laune soll man mitbringen. So ein Blümchenschwachsinn!

Wenn es regnet, geht sie spazieren und singt, falsch auch noch. Im Kirchenchor könnten wir die nicht brauchen. Und sie malt, nicht das man erkennen könnte, was das sein soll. Angezogen ist sie wie Winnetous Schwester, im Fasching. Die Frisur passt auch prächtig dazu: lange Flatterhaare, in dem Alter! In der Kirche hat sie sich bisher noch nicht blicken lassen, aber letzten Sonntag beim Frühschoppen hat sie den Pfarrer auf ein Bier eingeladen mit der Bemerkung, dass er doch so einen fürchterlichen Job hätte. Der hat dann auch noch mit ihr geredet. Die belästigt wirklich jeden !

Verheiratet ist sie nicht. Wer die Kerle sind, die da aus und ein gehen, weiß niemand. Kann man natürlich vermuten. Wovon lebt die denn überhaupt? Was? Schriftstellerin? Ach du meine Güte! Da wundert mich ja fast nichts mehr.

„Ich gehe am Sonntag bestimmt hin“ sagte die Bekannte aus dem Kirchenchor

300 Wörter

ABC – Die erste Schraube

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Christiane herself
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einen Text von 300 Wörtern unterbringen

Ein Experiment: der Satz ganz oben. Würde mich interessieren, was ihr dazu sagt. Ihr dürft es auch ruhig ganz absurd und unnötig finden

Da standen sie nun staunend vor dem Schrank, den Aurelia geöffnet hatte.

XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

Die neue Turnusärztin, Aurelia war die Tochter des Primars. „Freunderlwirtschaft, Korruption, Nepotismus“ murmelte es aus allen Wänden der Abteilung für orthopädische Chirurgie des Uni-Krankenhauses, denn offener Protest war bei Primarius Böhm praktisch undenkbar. Ebenso kompetent wie unnahbar leitete er seine Abteilung und war auch Mitglied mehrerer Forschungsteams. Der jungen Frau, die ihrem Vater sehr ähnlich war in Aussehen und selbstbewußtem Auftreten schlugen Wellen der Abneigung entgegen.

Immer wieder verstummten Gespräche wenn Aurelia Böhm in die Kantine kam oder ins Ärztezimmer oder auch nur auf dem Gang vorbeiging. Ihr Vater allerdings behandelte sie wie alle anderen auch: zurückhaltend und kühl. Leutselig war er wahrhaftig nicht, aber alle respektierten seine enorme Kompetenz quer durch alle Bereiche der Orthopädie. Obwohl keiner seines Teams, weder Ärzte, noch Pfleger noch Verwaltungspersonal ihm Sympathie entgegenbrachte, wurde er doch sehr geschätzt. Vor allem von den Kommentaren bei seinen Visiten profitierten die Jungärzte enorm.

Um Primarius Böhm rankten sich so manche Geschichten und Gerüchte. Am meisten Neugierde erweckte ein Schrank in seinem Büro, der versperrt war, den er selbst aber angeblich immer wieder öffnete um darin irgendetwas zu betrachten. Was es sein könnte wusste niemand. Die ganze Abteilung vermutete, dass es sich um Auszeichnungen oder Trophäen handelte, die er stolz betrachtete.

Bis eines Tages, als Primarius Böhm auf einem Kongress war, Aurelia, der es inzwischen gelungen war, sich immerhin minimal in das Team zu integrieren einer Gruppe von Kollegen anbot, den Schrank zu öffnen.

„Eine Stellschraube? “ sagte Oberarzt Anzug. Er klang ziemlich fassungslos.
„Die falsche Stellschraube, die er bei seiner allerersten OP fast eingesetzt hätte, wenn ihn nicht die OP-Schwester darauf hingewiesen hätte. Sie immer wieder zu sehen, betrachtet er als Übung in Demut und Dankbarkeit“ sagte Aurelia „ebenso wie die bestmögliche Ausbildung junger Kolleg*innen.“

(300 Wörter)

Der Traum von der Chemie – ABC-Etüden

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Anna Lena
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einen Text von 300 Wörtern unterbringen

Als Walter fünfzehn war, begann seine Mutter mit dem Nestbau. Der zweite Stock des großen Familienhauses sollte für ihren Sohn ausgebaut und ausgestattet werden. Sie hatte damit nicht ganz soviel Freude, wie sie erwartet hatte, denn Walter weigerte sich kategorisch mit ihr durch Möbelhäuser zu ziehen, Innenarchitekturzeitschriften zu studieren und das Für und Wider von verschiedenen Holzarten zu erwägen. Die Beziehung zwische Mutter und Sohn zerbröselte langsam zu Staubkörnern, die kurz in der Sonne tanzten und dann auf unfruchtbaren Boden fielen.

Sie überlegte, wo Walters Anwaltskanzlei am besten untergebracht werden könnte, im Erdgeschoß oder doch auch im zweiten Stock,
„Wenn du dann, deine Gerichtspraxis machst, werden wir mit dem Bodenlegen beginnen“ sagte sie zu Walter, der gerade vorbeikam.
Walter wunderte sich nicht mehr oft über seine Mutter, aber „Gerichtspraxis“! Was denn für eine Gerichtspraxis? fragte er ehrlich erstaunt.
„Nach dem Jus-Studium muss man doch eine Gerichtspraxis machen, oder hat sich das geändert?“
„Keine Ahnung, aber es betrifft mich ja nicht, ich werde in Paris Chemie studieren. Die Aufnahmsprüfung habe ich schon bestanden“
„Chemie ….. in Paris …… aber unsere Pläne ….“
„Deine Pläne, Mutter, deine Pläne. Mich hast du nie gefragt“
„Dieses Studium musst du dir aber selbst finanzieren“ sagte sie mit verzweifelten Augen aber frostig.
„Genau daran arbeite ich gerade“

Walter saß in einem Pariser Café und dachte wieder einmal an seine Mutter. Manchmal tat sie ihm inzwischen leid, schließlich hatte er ihren Lebenstraum vom Sohn, der in ihrem Haus wohnte und eine Anwaltskanzlei betrieb regelrecht in die Luft gesprengt. Es war ein schwerer Weg aus dem reichen Elternhaus zum Pizzaboten in Paris. Vom ausgebauten zweiten Stock zum Untermietzimmer. Oft dachte er an Marie Curie und ihr armseliges, ungeheiztes Studentinnenzimmer. Aber er und Marie hatten es dorthin geschafft, wohin sie wollten, aus eigener Kraft. Der Geruch von Freiheit zog durch das Café.

300 Wörter

Pelzmantel und Gedichte – ABC-Etüden

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von Werner Kastens
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einen Text von 300 Wörtern unterbringen

„Dichterlesung“ hat bei mir eine alte Geschichte aus dem Fundus geholt. Die Protagonistin ist meine Kindergartenfreundin Sylvia (der Name ist das einzig Erfundene an der Geschichte), bekennende und praktizierende Exhibitionistin. In ihrem Wohnzimmer hängen Fotos von ihr in passenden Posen. „Nackte Leiche im Wald“. „Nackt auf dem Motorrad“ „Nackt mit Strapsen das eigene Wohnzimmer betretend“ usw

Die Gedichte vom X (italienischer Lyriker) bewundere ich schon lange und die Gelegenheit, dass er in Wien liest, wollte ich mir nicht entgehen lassen“

„Und, hat es dir gefallen?“

Wie soll ich sagen? Ich erzähl dir, wie es war. Ich habe doch diesen Pelzmantel, Erbstück von meiner Großmutter und immer schon wollte ich nackt unter dem Pelzmantel durch die Kärntnerstraße gehen. Diese Lesung war eine gute Gelegenheit dafür. Das Stolzieren durch die Kärntnerstraße war zwar ein ziemlicher Umweg, aber ein umwerfendes Gefühl, das seidige Futter auf der Haut und gleichzeitig mit der Hand in den Pelz greifen, hunderte Leute rundherum.

Ich hab´ Wochen vorher den Platz in der ersten Reihe leicht schräg gegenüber dem Dichter ergattert. Genügsam und unsichtbar in der letzten Reihe zu sitzen ist nicht meins. Ich konnte lasziv die Beine übereinander schlagen und dabei den Mantel wie absichtslos leicht hinuntergleiten lassen. Davor hatte ich mich geräuspert damit er auch im richtigen Moment herschaut. Er hat hergeschaut, die Augen hat er leicht aufgerissen und ein Wort überlesen. Sonst habe ich nicht so genau zugehört, seine Gedichte kenne ich eh und das Gefühl nackt im Pelzmantel hat alles andere überlagert.

Mit einem Exemplar seines neuen Gedichtbands habe ich mich zum Signieren angestellt. Eine lange Schlange. Wenn ich mit einer plötzlichen Bewegung den Mantel … Du kannst ja leider nicht nachvollziehen, wie sich das angefühlt hätte. „Für ein anonymes Erlebnis“ habe ich ihn gebeten hineinzuschreiben. Was für ein Blick, was konnte man nicht alles hineindeuten! In dem Buch stand schon „im Café gegenüber des Ausgangs“. Er hatte durchaus die Chance nicht zu kommen.

Natürlich kam er und wir haben uns gegenseitig in sein Hotelzimmer abgeschleppt.“

„Und wie war´s dort?“

„Mittelprächtig, aber als Beginn einer neuen Serie ganz vielversprechend. Ich bin nicht auf das Verkuppeln durch andere angewiesen und gehe ohnehin gerne zu Dichterlesungen.

300 Wörter

Einer zuviel – ABC-Etüde

Bei Christiane
Die Wörter sind diesmal von mir
3 vorgegebene Wörter (siehe unten) in einen Text von 300 Wörtern unterbringen

“ Es reicht, Schnitt, Schnitt, Schnitt !!“ schimpfte er vor sich hin, als er wieder im Flughafenbus saß. Es war wohl etwas zu laut, denn die anderen Passagiere musterten ihn teils interessiert, teils indigniert. Diese indiskreten Blick gab es in London einfach nie und so schimpfte er auch noch auf das Land, in das er geflogen war wegen seiner Mutter und wegen der blödsinnigen Idee einer Beichte nach ihrem Tod.

Der Notar beherrschte die Kunst der dramatischen Inszenierung: die Akte, die vor ihm lag, war rot. Unpassender wäre es kaum gegangen. Obwohl, in Anbetracht des Inhalts konnte man die Farbe doch ganz passend finden, blutrot wie bei frischen Verletzungen. „Wie Sie wissen, sind sie Alleinerbe“ sagte der Notar “ zu den Vermögenswerten kommen wir gleich. Ihre Mutter legte Wert darauf, dass sie zu allererst diesen Brief lesen, bevor wir über das Erbe sprechen.“

Nichtsahnend nahm er den Brief. Die Stichworte sprangen ihm entgegen. Zehn Jahre lang Leihmutter gewesen – Geld gut angelegt – Vermögen, von dem wir gelebt haben. Wie hätte ich mich entscheiden sollen? Ihr wart Zwillinge, die Auftraggeber wollten nur ein Baby, ich habe dich behalten. Er hörte die kühle Stimme seiner Mutter, die die Apokalypse sachlich zusammenfasste und nahm, wie betäubt, den Zettel entgegen auf dem ein Name und eine Adresse standen.

Das Treffen war ein Fiasko gewesen. Einer Kopie von sich selbst gegenüber zu stehen, der man aber nichts zu sagen hatte. Das genau gleiche Gesicht, Kleidung nach dem eigenen Geschmack. Ähnliche Eckdaten des bisherigen Lebens. Erschütternd genug. Von dem angeblich vorhandenen emotionalen Band zwischen Zwillingen keine Spur. Er wollte nur so schnell wie möglich wieder weg.

Sein Smartphone brummte, er hatte eine Nachricht bekommen, von dem anderen „Wollen wir die kleine Tür in der Mauer offen lassen?“ Eine neuerliche Achterbahn der Gefühle, in die andere Richtung. Er musste darüber nachdenken.

(300 Wörter)

Der Fluchtsieger – ABC-Etüden

Wie immer bei Christiane
Drei Begriffe (siehe oben) sollen in einen Text von 300 Wörtern verpackt werden
Die Wörter stammen diesmal vo
m Etüdenerfinder

Heiß war es in dem Gebirgsdorf und staubig. Es war Markttag aber die Stände waren halbleer, es gab kaum etwas zu kaufen. Geld hatten ohnehin nur jene, die ihre Kinder verkauft hatten. Alle wussten davon, aber es wurde nicht darüber gesprochen. In den letzten Tagen ging das Gerücht, dass Talibankämpfer unterwegs waren. Sollten sie die Mohnfelder niederbrennen oder abernten, war das Dorf verloren, dann konnten sich alle genauso gut gleich zum Sterben hinlegen.

Der Rat der Alten hatte einen Entschluss gefasst. Das Dorf würde das letzte Geld zusammenkratzen und einen jungen Mann nach Europa schicken. Die Alten hatten unter ihren Söhnen und Enkeln einen ausgewählt, der viel jünger aussah als er war und viel schlauer und zäher war als er aussah.

Als er erfuhr, dass er der Auserwählte war, freute er sich. Er würde die Einladung annehmen und es bis in das wunderbare Land schaffen, wo ihn ein Haus und ein Auto erwarteten und so viele Frauen wie im Paradies.

Tagelang hatte er nichts gegessen. Ein paar Tage lang hatte der Schlepper ihn und eine größere Gruppe Männer in einem Stall in der Nähe von Istambul untergebracht und immerhin minimal verpflegt dann war er verschwunden. Er hatte es wohl satt so viele durchzufüttern.

Überlebt.Viel hatte er unterwegs gesehen, viel hatte er in dem Land gesehen, das sein Ziel gewesen war nur nicht sein eigenes Haus und Auto und die vielen halbnackten Frauen gab es wohl, aber man sollte sie nicht anrühren. Er war unterwegs mit einem Freund, auf der Suche nach seinem Traumauto. Wenn sie eines sahen, würde der Freund ihn davor fotografieren und das Foto an den vertrauenswürdigen Verbindungsmann schicken, der auch das Geld für das Dorf erhalten sollte, dass er irgendwann überweisen würde. Vorläufig wusste zuhause niemand, dass er nicht der Fluchtsieger war für den er sich ausgab.

300 Wörter