Der Erzählstrang, der in der Gegenwart läuft, handelt in Beyrouth, Hauptstadt des Libanons. Daher die Zuordnung.
Ich habe bisher vier Bücher von dem renommierten französischen Autor Eric-Emmanuel Schmitt gelesen „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, „Oscar und die Dame in Rosa“ , Odysseus aus Bagdad“, das „Evangelium nach Pilatus“. Alle fand ich gut geschrieben und inhaltlich interessant und hatte somit sehr positive Erwartungen an sein neues Buch „Der Morgen der Welt“, die deutsche Übersetzung von „La traversée des temps“ (Verlag Albin Michel), das bei Bertelsmann herausgekommen ist und wie es scheint der erste Band einer achtbändigen Reihe ist. Die deutsche Übersetzung des zweiten Bands wird schon angekündigt, während in Frankreich gerade der vierte Band herauskommt.
Schmitt ist ein beliebter, preisgekrönter französischer Schriftsteller und Dramaturg, ein Humanist, der sich mit vielen brennenden Themen der Welt beschäftigt hat, ein guter Erzähler. In dieser achtbändigen Reihe ist sein Anspruch, die gesamte Geschichte der Menschheit in Romanform darzustellen. Mir scheint allerdings, dass dieses Werk nicht sein bestes ist.
Die Geschichte ist nicht kompliziert. Sie beginnt in der Steinzeit mit einem jungen Mann namens Noam, der sich in weiterer Folge als der Noah der Sintflut herausstellt und der durch ein mysteriös bleibendes Ereignis zum Unsterblichen wird, der durch die Zeiten irrt. Das ist keine neue Idee, es geistern viele Unsterbliche oder auch Wiedererweckte durch die Literatur, die Belletristik und den Trash. Dieser Unsterbliche ist ein Ich-Erzähler und eigentlich das Produkt eines guten Autors.
Als Abenteuergeschichte, liest sich der Roman flüssig und spannend, aber die Figuren sind undifferenziert geschildert, flach, klischeehaft und eindeutig in gute und böse eingeteilt. Die weibliche Protagonistin etwa, die wie eine Art launische Barbiepuppe dargestellt wird, trägt an einer Stelle ein transparentes Gewand. (aus welchem Material könnte es sein?) Ich gehe davon aus, dass Schmitt über die Steinzeit, in der der Roman hauptsächlich spielt, recherchiert hat. Allzuviel Wissen darüber gibt es aber gar nicht, und es gelingt ihm keine glaubwürdige Darstellung weder der Zeit und ihrer Lebensumstände noch seiner Protagonisten: sie agieren und sprechen wie Menschen aus dem 21 Jahrhundert, die – warum auch immer – in angedeuteten steinzeitlichen Kulissen leben.
Im Zentrum des Geschehens steht einerseits die sich ankündigende Sintflut und andererseits mehrere Liebesgeschichten und Familientragödien. Der Autor geht davon aus, dass man im Neolithikum in polygamen Familien lebte, was, wie vieles andere in dieser Geschichte beschriebene nur auf Vermutungen beruht.
Nun könnte man sagen, dass doch eine in der Steinzeit spielende Geschichte erdacht werden kann. Ja schon, aber der Autor bezieht sich immer wieder in Form von langen Fußnoten auf die gesamte Geschichte der Menschheit. Einerseits mit erhobenem Zeigefinger zu Themen wie zum Beispiel Umweltverschmutzung und Klimakrise, andererseits mit Anekdoten aus dem Leben des unsterblichen Noam, der sich mit allen möglichen bekannten Persönlichkeiten der Geschichte getroffen hätte. Beispielsweise hat er Einstein das Leben gerettet, weil dieser ein sehr schlechter Segler war und sie gemeinsam in einen Sturm kamen (S 507), er hat Diderot und Jean-Jacques Rousseau getroffen, die beide in ihren Werken stark beeinflusst wurden von einzelnen Sätzen, die Noam von sich gab.(S.238) In der Sprache der Zwanzigjährigen würde ich sagen, es ist einfach too much.
Dieser erste Band einer in acht Bänden angelegten Geschichte hat durchaus auch Stellen , die mir gefallen haben, es sind nur nicht allzu viele. Ich denke, dass dieses Projekt auch gar nicht zu bewältigen ist, zumindest nicht in dieser erzählerischen Form. Eine Geschichte der Menschheit vom Neolithikum bis in die heutige Zeit mit demselben Protagonisten und in einer realistischen Erzählform mit gelegentlichen mystischen Einsprengseln. Weder wird das Leben in der Zeit einigermaßen glaubwürdig dargestellt noch kann man sich die handelnden Personen außerhalb der Gegenwart vorstellen.
Der Roman ist in zwei Zeitstränge gegliedert: die Gegenwart im Libanon und die Jungsteinzeit irgendwo an den Ufern des Schwarzen Meers. Die Übergänge von einer Erzählzeit in die andere sind so gestaltet, dass der Text spannend bleibt, aber den Übergang vom Ich-Erzähler in der Steinzeit zum Ich-Erzähler in der Gegenwart finde ich nicht besonders gelungen.
Insgesamt finde ich „der Morgen der Welt“ als Abenteuergeschichte nicht schlecht, für Leser*innen ohne Anspruch auf glaubhaftes historisches Ambiente und mit hoher Toleranzschwelle für klischeehafte vor allem weibliche Figuren.