Schlagwort: Islam –

64. Station meiner Literatur – und Kunstweltreise – Schweden 2

Hier ist meine Weltreise zu finden

Wollte ich dieses Buch mit einem Wort beschreiben, so würde ich „verstörend“ wählen. Ich habe lange gebraucht um hineinzufinden, aber dann hat mich die gleichzeitig harte und lyrische Sprache völlig überschwemmt und die Handlung eben ziemlich verstört.

Ein schizophrenes Mädchen aus Belgien verliebt sich als 14-jährige in einen Moslem und konvertiert zum Islam. Sie trampt nach Schweden wo sie an einem islamistischen Attentat teilnimmt. All das geschieht verzerrt durch die Nebel ihrer Krankheit. Sie weiß weder wer sie ist noch warum sie was tut. Sie überlebt und wird in den Hochsicherheitstrakt einer schwedischen psychiatrischen Klinik eingeliefert.

Dort besucht sie ein Schriftsteller, dessen Bücher ihr gefallen haben. Und so kommt der zweite Ich-Erzähler ins Spiel, ein Moslem, Schwede mit nordafrikanischen Wurzeln, der überlegt mit Frau und Tochter nach Kanada auszuwandern. Diesem Mann übergibt das Mädchen einen von ihr geschriebenen Text, in dem sie beschreibt, dass sie aus der Zukunft kommt. Eine Zukunft, in der Schweden zu einer Gesellschaft geworden ist, in der Muslime, die den „Bürgervertrag“ nicht unterzeichnen, als „Schwedenfeinde“ stigmatisiert und in einem eigenen Wohnviertel untergebracht werden. Es gibt verschiedene Stufen der Diskriminierung, die zu verschiedenen Arten der Unterbringung führen. Eine schaurige dystopische Geschichte, die im Laufe der Geschehnisse den Ich-Erzähler zusehends beeinflusst.

Es wird die Theorie aufgestellt, dass das Mädchen in einem Foltergefängnis namens al-Mima in der jordanischen Wüste gewesen sein soll. Ob es dieses Gefängnis gibt, ob es eine Fiktion oder ein durch Abu Ghraib inspirierter Ort ist, kann ich nicht sagen. Jedenfalls ist die Beschreibung dieses Orts einer der Punkte in dem Roman, an dem sich eine reale und eine mystische Welt überschneiden und zwar auf eine Art, die den Leser*innen die Orientierung erschwert, eigentlich unmöglich macht.

„Dort, in der jordanischen Wüste, an einem Ort auf der Grenze zwischen Technologie und Theologie, war das Mädchen in der Klinik in diesen seltsamen Zustand ohne Kontakt zur Außenwelt geraten, in dem sie sich befunden hatte, als man sie nach Belgien zurückgebracht hatte.“ S 161

Die Schicksale des Autors und des Mädchens beginnen sich zu berühren. Die erschreckenden Beschreibungen einer in der Zukunft liegenden islamophoben, gewalttätigen schwedischen Gesellschaft aus der das Mädchen behauptet zu kommen, die Pläne des Autors, nach Kanada auszuwandern. Immer mehr drängt sich die Frage auf, ob man Moslem und Schwede sein kann, ob der Islam und seine Gläubigen in einer westlichen Gesellschaft eine positive Zukunft haben können.

Verwirrend an diesem Roman ist, dass er nicht chronologisch erzählt wird und es nicht sofort klar ist, wer gerade in Ich-Form erzählt: das Mädchen oder der Autor. Es ist auch oft unklar, ob man sich gerade in der realen Welt, in der phantasierten Dystopie des Mädchens oder in einer mystischen Parallelwelt befindet. Sehr schwer zu lesen ist dieser Text, sprachlich und inhaltlich anspruchsvoll und ganz bestimmt kein Unterhaltungsroman. Aber er wirkt nach. Ich habe den Roman schon vor einer Weile ausgelesen mich aber noch nicht wirklich davon gelöst.

Johannes Anyuru, geboren 1979, ist ein sehr interessanter Autor, Sohn einer Schwedin und eines Uganders, debütierte er 2003 mit der Gedichtsammlung Det är bara gudarna som är nya ( Nur die Götter sind neu). Es folgten weitere Gedichtsammlungen und das Buch, das ich gelesen habe, ist sein zweiter Roman, der 2017 erschienen ist. Anyuru arbeitete auch an Theaterstücken mit und beschäftigte sich mit Poesie in Klangform. Er wird als Vertreter der schwedischen Einwandererliteratur betrachtet, obwohl er in Schweden aufgewachsen ist.
Ein Wanderer zwischen Kulturen dürfte der mehrfach preisgekrönte Autor sein, der 2007 zum Islam konvertierte. Auf jeden Fall keiner, der versucht, den Erwartungen seiner potentiellen Leserschaft gerecht zu werden

Weltweiter Fortschritt

Es wäre völlig falsch zu behaupten, dass es nicht überall auf der Welt, in allen Kulturen, zivilisatorische Fortschritte gibt. In Saudi-Arabien zum Beispiel ist es seit neuestem Frauen sogar gestattet durch die gleichen Eingänge wie Männer ein Restaurant zu betreten. Wenn das kein Meilenstein ist ! Durch die gleichen Eingänge!!

 

44. Station der Literaturweltreise – Algerien

Weiter gehts auf der Lesereise , nach Nordafrika

Assia Djebar

„Nirgendwo im Haus meines Vaters“

S.Fischer Verlag

Der deutsche Titel ist die wortgenaue Übersetzung des französischen Originals und das ist – so finde ich – ein gutes Zeichen. Eine kleine Leseprobe erklärt diesen Titel:

„Ich frage mich: Ist nicht jede Gemeinschaft von Frauen, die zur Gefangenschaft verurteilt sind, zunächst aus sich selbst heraus verdammt, weil jeder Konflikt durch die Rivalität zwischen ähnlichen Gefangenen zusätzlich verschärft wird? … Oder ist das der Punkt an dem jener Traum zu bröckeln beginnt: die Liebe des Vaters, die die einen in den beneidenswerten Status einer „Tochter ihres Vaters“ erhebt, den einer „geliebten Tochter“, so wie in unserer islamischen Kultur  der Prophet, welcher nur Töchter hatte (vier an der Zahl und jede davon außergewöhnlich; die Jüngste, die Einzige, die ihn überlebte, starb vor lauter Kummer darüber, dass man sie enteignet und ihr das gesamte väterliche Erbe genommen hatte. Fast ist mir, als könnte ich sie mit leiser Stimme seufzen hören“Ach, Nirgendwo im Hause meines Vaters“ ) p.224

Assia Djebar, geboren als  Fatima-Zohra Imalayène am  30. Juni 1936 in Cherchell bei Algier starb am 6. Februar 2015 in Paris. Sie schrieb ihre Romane auf französisch, wie viele maghrebinische Autor*innen ihrer Generation. Das Französische als Kultursprache, das Arabische als Herzenssprache, so empfanden es wohl viele Schriftsteller und Intellektuelle, die unter französischer Kolonialherrschaft in einem der Länder des Maghreb aufwuchsen und durch das französische Bildungssystem gingen.

„Nulle part dans la maison de mon père“ 2007  (dt. Nirgendwo im Haus meines Vaters, 2009) ist Assia Djebars Autobiographie, in der sie ihre Kindheit und Jugend beschreibt, in Städten und Dörfern Algeriens vor der Unabhängigkeit des Landes.

Die Atmosphäre dieses Romans ist dicht, er beschreibt einzelne Szenen, zwischen denen oft große zeitliche Abstände liegen. Wir erinnern uns ja aus unserer Kindheit hauptsächlich an emotionale Ereignisse, die Spuren hinterlassen haben und so können biographische Erzählungen aus der Kindheit oft den Eindruck erwecken als hätte das Leben nur aus Höchst- und Tiefpunkten bestanden, was wohl selten der Fall ist.

Interessant fand ich, dass die Autorin zwar die traditionelle Lebensweise der algerischen Frauen kritisiert, dass sie aber nicht den Islam als Begründung für diese Lebensweise sieht. Schwierig war es, ein schlüssiges Bild der beschriebenen Menschen zu sehen. Der Vater der Autorin wird – aus meiner Sicht – als sehr zwiespältig beschrieben. Einerseits ist er sehr traditionell orientiert und verbietet zum Beispiel seiner vier, fünfjährigen Tochter Radfahren zu lernen, weil dabei ihre Beine zu sehen sind, andererseits ermöglicht er ihr als noch junges Mädchen in Frankreich zu studieren.

Vom Hin- und Hertaumeln zwischen zwei Kulturen erfährt man aus der Erzählung von der Schulzeit Assia Djebars. Sie lebte Jahre im Internat einer Schule, die von einigen wenigen anderen algerischen Mädchen und hauptsächlich von Töchtern der Kolonialherren besucht wurde. Ihr Vater war ein „einheimischer Lehrer“ und unterstützte die Ausbildung seiner Tochter. Dieses Algerien der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts rückblickend beschrieben, aber gesehen durch die Augen einer Jugendlichen zeigt ein sehr bezeichnendes Sittenbild einer Gesellschaft, die einerseits in Herrschende und Beherrschte und innerhalb der Beherrschten noch in dominierende Männer und recht unsichtbare Frauen unterteilt ist. Aber es ist ein Blick von innerhalb einer Gesellschaft, der nichts mit jenen Werken zu tun hat, die andere Kulturen mit verständnislosem Blick von außen betrachten.

 

Donnerstag 14.3.19

Leider ist ein ewig langer Arbeitstag, an dem ich so um 22:15 nachhause komme, auch dann anstrengend, wenn ich nicht gerade am Vortag erst von der Reha zurückgekommen bin. Die einzelnen Teile des Tages sind nicht so anstrengend, aber die Gesamtheit.

Die schwierigen Themen meines Lebens haben sich auch nicht einfach in Luft aufgelöst, weil ich wieder gehen kann. Die Phase der Euphorie war sehr schön und ich genieße immer noch jeden Schritt, den ich mache, aber die Erde hat mich wieder. Und die Erde bietet mir so manche stachelige Strecke.

Plaudern mit Schülerinnen mit afghanischen Wurzeln kann zu unerwarteten Schockerlebnissen führen. Sie ist nach ihrer Tante benannt worden, erzählt sie. Die Tante wurde mit Benzin übergossen und angezündet, weil sie drei Monate nach dem Tod ihres Mannes immer noch nicht dessen Bruder geheiratet hatte, wie es üblich ist. Witwen haben überhaupt generell einen ganz schlechten Ruf in Afghanistan und wohl auch anderswo. Es herrschen immer Zweifel an ihrer Keuschheit und Ärgeres kann einer Frau nicht zustoßen. Verglichen damit wird so manches zum Luxusproblem.

40. Station der Leseweltreise – Marokko

Leila Slimane

„Sex und Lügen“

Btb

Die Reise

„Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt“ lautet der Untertitel des Buchs. Die Autorin erfüllt diese Ansage nicht durchgehend. Es werden wohl einige Gespräche mit marokkanischen Frauen widergegeben, aber hauptsächlich geht es um eine Analyse der marokkanischen Gesellschaft durch die Autorin.

Leila Slimani ist in Marokko geboren, als die mittlere dreier Töchter des Ökonomen Othman Slimani. Sie besuchte die Schule in Rabat. 1999 ging sie nach Paris und studierte Medien und Politik.

Es ist eine durchaus interessante Beschreibung und Analyse der marokkanischen Gesellschaft, die allerdings nur Slimanis persönliche Meinung und Erfahrung wiedergibt. Wobei man auch berücksichtigen muss, dass sie seit annähernd zwanzig Jahren in Frankreich lebt.

Zusammengefasst wird die marokkanische Gesellschaft als eine beschrieben, in der die wichtigste Regel lautet „Macht, was ihr wollt solange niemand davon erfährt“ (p.18) Die Jungfräulichkeit der Frauen vor der Ehe wird verherrlicht und das Familiengesetz schreibt vor, dass vor der Ehe ein Keuschheitszertifikat zu erbringen ist, es werden jedoch zahlreiche Möglichkeiten zur „Wiederherstellung der körperlichen Jungfräulichkeit“ angeboten.

„Als Frau erwachsen zu werden, ist ein mit Demütigungen gepflasterter Weg. Vor der Polizei und dem Gesetz ebenso wie in der Öffentlichkeit ist es von Nachteil eine Frau zu sein. Wie der türkische Autor Zülfü Livaneli in seinem Roman „Glückseligkeit schreibt, ruht im gesamten Mittelmeerraum der Ehrbegriff im Schoß der Frauen. Eine Bürde, an der die Hälfte der Bevölkerung schwer trägt. Derart idealisiert und mystifiziert, ist die Jungfräulichkeit ganz offensichtlich ein Zwangsinstrument um die Frauen ans Haus zu binden und sie unausgesetzt zu überwachen. Statt einer Privatangelegenheit ist sie Gegenstand kollektiver Besorgnis. Darüber hinaus stellt sie eine lukrative Einnahmequelle für all jene dar, die jeden Tag Dutzende Hymen rekonstruieren, oder für die Anbieter falscher Jungfernhäutchen, die beim Geschlechtsverkehr bluten sollen. Die sexuelle Misere ist, wie wir sehen werden, ein Markt wie jeder andere.“ p.28

Bemerkenswert finde ich noch, dass Leila Slamani explizit darauf hinweist, dass die Situation wie sie ist nicht dem Islam zugeschrieben werden kann.

„Denn die muslimische Religion kann vor allem als eine Ethik der Befreiung, der Hinwendung zum anderen, als persönliches Wertesystem verstanden werden, und nicht nur als manichäische Sittenlehre“ p. 17

Insgesamt recht interessant, aber nicht wissenschaftlich fundiert.

Vom Minirock zur schwarzen Säule

Das Gespräch, das ich heute abend mit einer Studierenden geführt habe, war so interessant, dass man uns beinahe im Schulgebäude eingesperrt hätte. Gerade noch im letzten Moment bevor der Schulwart die Alarmanlage eingeschaltet hat, sind wir hinausgekommen.

Sie hat mir von ihrer Großmutter erzählt, die als junge Frau in Afghanistan ein relativ freies Leben führte und Lehrerin war. Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog sie allein zwei Söhne groß, einer davon der Vater der jungen Frau, doch dann kamen die Taliban und reduzierten sie auf eine schwarze Säule. Sie erzählte, wie die Großmutter die ganze Familie zur Auswanderung gedrängt hatte. Ich habe nicht gefragt, ob die Großmutter selbst auch mitgekommen ist. Die Frage werde ich nachholen

Sehr spannend fand ich auch das Verhältnis der jungen Frau zum Islam. Sie teilt ihr Leben in verschiedene Bereiche ein. In der Bäckerei, in der sie arbeitet, könnte sie ein Kopftuch tragen, tut es aber nicht, weil sie meint, dass ihre Religion nicht als Provokation herhalten soll. In der Abendschule trägt sie ein loses Kopftuch, die Art wie man sie an Frauen im Iran sieht; weder das Haar noch der Hals sind eigentlich bedeckt. Auf meine Frage, wie man ein Leben zwischen Arbeit und Schule mit fünf Gebeten am Tag verbinden könne, sagte sie, dass das darauf ankäme, wie man „Gebet“ definiere. Nach einer modernen Auslegung des Islam, wäre alles, was man gerne für andere tue, auch als Gebet zu betrachten. Wenn das viele Menschen so sähen, würde das der Gesellschaft sehr gut tun.

Jedenfalls eine interessante, neue Studierende, die gerne redet und gerne Auskunft gibt über ihre Meinungen.

Eigentlich mag ich sie manchmal fast alle ….

Sprachkenntnisse sagen oft vieles über das Leben der Menschen aus. Ein junger Mann zum Beispiel, der als Nationalität  Afghane angibt und als Muttersprache Farsi gehört wohl der Minderheit der Hazara an und ist im Exil im Iran aufgewachsen. Über das Leben von jemandem, der arabisch als Muttersprache angibt und als Heimatland „Palestina“ kann man auch viel spekulieren. Viele solche harte aber von außen betrachtet sehr interessante Lebensläufe haben unsere Abendschüler.

Ja, die interkulturellen Konflikte sind oft sehr schwierig zu managen und bringen uns an unsere Grenzen und darüber hinaus, dennoch empfinde ich meistens die Bereicherung stärker als die Probleme. Nicht immer, natürlich. Wenn eine Klasse nicht auf Sportwoche fahren kann, weil es dazu der Teilnahme von 70% der Schülerinnen und Schüler bedarf und in einer Klasse mehr als 25% muslimische Mädchen sind, die auf keinen Fall auswärts übernachten dürfen und Sport betreiben ohnehin nur in ganz geringem Ausmass, dann sehe ich in der Situation auch keine positiven Aspekte. Wenn dann andererseits der Vater eines solchen Mädchens in die Schule kommt und es ganz klar wird, dass er seine Tochter liebt und nur das aus seiner Sicht Beste für sie will, was soll man da sagen ….

Wenn zwei junge Erwachsene, ein Afghane und ein Tschetschene sich gegenseitig halbtot geschlagen haben, weil irgendjemandes Schwester irgendwas gesagt, getan oder nicht getan hat. Wenn die Brüder von Schülerinnen vor der Schule lauern um ihre Schwestern nachhause zu eskortieren oder auch auszuspionieren, dann bin ich wieder einmal am Rande meiner Toleranz angelangt. Aber dieselben Menschen, die ich immer wieder als untragbar und hoffnungslos empfinde, können sich dann manchmal wieder so verhalten, dass man sie richtig lieb haben könnte. Es ist ein ewiges Hin und Her, ein ständiges Erproben der eigenen Überzeugungen, ein immer wieder Überdenken und Revidieren und Neudenken.

Sich dem anderen Denken und Fühlen auszusetzen, lohnt letztlich und sei es nur wegen der eigenen Flexibilität des Denkens. Darüber, ob es gut oder schlecht ist, Kompromisse zu finden und zu leben, muss man nicht diskutieren. Ob gut oder schlecht, es ist unerlässlich, außer man möchte in Wolkenkuckucksheimen leben, sich vor jedem Schatten fürchten und stupide Parolen plärren, die nichts und niemanden voranbringen. Standpunkte, die sich nicht nüchtern und in ganzen Sätzen vertreten lassen, sind am Ende nicht allzuviel wert.

34. Station der Leseweltreise – Malediven

Sehr lange habe ich für dieses Buch gebraucht, immer wieder kam anderes dazwischen.

Es handelt sich um ein Reisebuch, in dem es um die halbe Welt geht und so suche ich mir ein Land daraus aus zu dem es wahrscheinlich schwierig ist, Lesestoff zu finden: die Malediven.

Erich Follath

„Jenseits aller Grenzen“

Auf den Spuren des großen Abenteurers Ibn Battuta durch die Welt des Islam 

Penguin: 2017

Ibn Battuta war ein Abenteurer, ein Reisender aus dem 14. Jahrhundert, der wesentlich weiter gereist ist und mehr gesehen hat als der in Europa viel bekanntere Marco Polo.

Ibn Battuta stammt aus einer in Tanger ansässigen Berberfamilie. Er studiert islamisches Recht und bricht 1325 mit 21 Jahren zu einer Pilgerfahrt nach Mekka und Medina auf. Erst 25 Jahre später kehrt er in seine Heimatstadt zurück. Drei Jahre nach seiner Rückkehr bricht er noch einmal zu einer großen Reise bis nach Timbuktu auf.

Während seines bewegten Lebens beschäftigt er sich mit allen möglichen Professionen: Richter, Diplomat, Gelehrter, Makler und Kaufmann. Was sein Privatleben betrifft, so würde ich ihn nicht unbedingt als Sympathieträger bezeichnen. Er heiratete über ein halbes Dutzend Frauen und hatte zahllose Konkubinen und Sklavinnen, zeugte über 15 Kinder und verließ alle diese Frauen und Kinder wieder ohne Skrupel und Sentimentalitäten. Er liebte Macht und Geld, war aber auch ein Mensch mit großer Liebe zur Spiritualität.

Nach der Rückkehr von seiner Rreise nach Timbuktu regt der einflußreichste Mann Marrokos, der Sultan von Fez, Abu Inan Faris an, Ibn Battuta möge doch einen Bericht über seine ausgedehnten Reisen schreiben. Dazu stellt er ihm eine Art Ghostwriter zur Seite, einen jungen andalusischen Schriftsteller.

„Dieser Ibn Juzayy erweist sich als ein Segen und ein klein wenig auch als ein Fluch für das gemeinsame Werk. Als Dichter hochbegabt. gelingt es ihm, die sprudelnden Erinnerungen seines Gegenübers in eine ansprechende, ja literarische Form zu gießen. Aber Ibn Juzayys primäres Interesse gilt nicht einem genauen zeitlichen Ablauf der Ereignisse, und Ibn Battuta, der offensichtlich kein Tagebuch geführt hat, gerät gelegentlich bei seinen Erzählungen so aus dem Takt- und aus der Zeit-, dass jeder neuzeitliche Wissenschaftler oder Nachreisende vor einigen Passagen kopfschüttelnd konstatiert und kapituliert: Ganz so kann es nicht gewesen sein.

(…)

Trotz dieser kleinen Abstriche: dem Autorenpaar gelingt inhaltlich wie sprachlich, ein großer Wurf. Im Frühjahr 1355 vollenden sie das Werk“ p. 21

In diesem Buch beschreibt Erich Follath, Politikwissenschaftler und bekannter Sachbuchautor, der als diplomatischer Korrespondent für den SPIEGEL vor allem im Nahen Osten, Indien und Ostasien tätig war, eine Reise auf den Spuren Ibn Battutas. Follath erzählt von Ibn Battutas Reisen und Leben im 14. Jahrhundert und von seinen eigenen Eindrücken und Erfahrungen in den bereisten Ländern.

Zwischen Mittelalter und 21. Jahrhundert reisen die Leser*innen an folgende Orte:

Tanger, Ibn Battutas Geburtsstadt

Kairo 

Damaskus

Mekka, wohin er mehrere Male reiste, wohin ihm Erich Follath nicht folgen konnte; und sollte er es doch getan haben, kann er nicht in einem Buch darüber erzählen

Shiraz

Dubai, worüber hauptsächlich Follath berichtet, da zu Zeiten Ibn Battutas dort nicht viel mehr als Sand zu finden war

Istanbul

Samarkand

Delhi

Male, die Hauptstadt der Malediven

Jakarta

Hangzhou

Granada

An manchen Stationen fand ich die Berichte Ibn Battutas interessanter, an anderen die Berichte aus der Jetztzeit und immer die Verbindungen über 700 Jahre hinweg.

Ein außerordentlich interessantes Buch, das man allerdings nicht schnell einmal an einem Nachmittag liest.

Mohammed und die Hochhäuser

Sogar Aussprüche des Propheten Mohammed lassen sich als Kritik an Saudi-Arabien auslegen. Ein großartiges Zitat!

„Mohammed war wohl schon weiter fortgeschritten in seinem Denken als die heutigen Hüter der heiligsten Stätten des Islam. So ist es in einem seiner Hadithe überliefert. Der Erzengel Gabriel fragte den Propheten: Wie lässt sich denn erkennen, wann das Ende der Welt naht, wann der Jüngste Tag anbricht ? Und der antwortete nach der Überlieferung „Dann wenn verwirrte Kamelhirten miteinander wetteifern, die höchsten Gebäude zu erbauen“ Erich Follath „Jenseits aller Grenzen“ p.168

Was mich an dem Zitat überrascht hat, ist, dass ein Erzengel Rat bei Mohammed sucht. Aber ich verstehe ja auch nichts von religiösen Hierarchien im Islam.

Damaskus – 14.Jahrhundert

Ich bin immer noch unterwegs mit dem Buch über die islamische Welt des 14. Jahrhunderts. Derzeit befinden wir uns in Damaskus:

„Er beschreibt das südliche „Tor des Fortschritts“ von dem aus eine Passage zu den Läden der Händler führt. Auf der linken Seite des Durchgangs verkaufen manche Geschäftsleute Secondhand-Kleidung, berichtet Ibn Battuta – und entlarvt so die Legende, dieses Geschäftsmodell sei eine geniale Erfindung der Neuzeit. Auf der rechten Seite preisen die Kupferschmiede ihre Waren an, es folgen die Basare für Juweliere und Buchhändler. Und dann kommen die Notare, vor deren Fenster immer ein halbes Dutzend Zeugen bereitsteht, wenn ein Paar seine Eheschließung besiegeln will. Bei dem Richtung Osten gelegenen „Tor der Stunden“ fallen dem Reisenden besonders die überdachten Gänge mit zwölf Türen auf; elf sind gelb angestrichen, eine ist an der Innenseite grün bemalt. Mit ihr wird die jeweilige Stunde angezeigt, ein Fulltime Job für die „Uhrmacher“, die sich in den jeweiligen Räumen aufhalten und, wann immer sie vom Gefühl her an der Reihe sind, die Farbe wechseln. Das Grüne nach außen kehren.“

Jenseits aller Grenzen – p. 111″

Leider ist mir nicht restlos klar, wie die Sache mit der Zeitmessung funktioniert. Sollte sich da jemand auskennen, bitte ich um Erklärung.

Als die islamische Welt an der Spitze des Fortschritts stand

Ich habe ja mein 6-Bett-Zimmer-Krankenhaus-Erlebnis noch nicht restlos verdaut und was lese ich da über das mittelalterliche Kairo im  vierzehnten Jahrhundert.

„Nach Recherchen des britischen Wissenschaftlers *) existierten schon Anfang des vierzehnten Jahrhunderts im Maristan-Krankenhaus (Kairo) sorgfältig sterilisierte Operationsräume mit den modernsten chirurgischen Geräten, für die Patienten abgetrennte Einzel- und Doppelzimmer und angeschlossene Bäder. Man konnte sich zur Linderung der Schmerzen und Entspannung einen Koran-Vorleser bestellen oder auch eine weltliche Musiktruppe oder die hospitalseigene Bibliothek aufsuchen. Reiche wie Arme wurden tatsächlich gleich behandelt – Errungenschaften einer Zivilisation, von denen man außerhalb der arabischen Welt nur träumen konnte. “

*) Stanley Lane-Pool, Autor einer umfassenden Stadtgeschichte über Kairo

Erich Follath „Jenseits aller Grenzen“ Verlag Penguin 2016 p. 78

Übrigend ein sehr interessantes Buch, von dem es hier noch mehr zu hören geben wird.

31.Station der Buchweltreise – Saudi Arabien

Rana Ahmad

„Frauen dürfen hier nicht träumen“

btb;  ISBN: 978-3-442-75748-0

Zugegeben es hätte zum Thema Saudi Arabien auch eine andere Art von Lektüre gegeben, aber fürs Krankenhaus war das Buch goldrichtig. Die Erzählerin berichtet zunächst von ihrer Kindheit und Jugend als Syrerin in Saudi-Arabien und von den Sommerferien in Syrien bei der Familie.

Es ist eine für eine europäische Frau beängstigende Welt aber dennoch etwas schwer vorstellbar, dass abgesehen von der ohnehin frauenfeindlichen Gesellschaftsordnung auch noch in der Familie der Autorin eine so große Anzahl an Männern zu finden sind, die sie entweder einschränken oder sexuell belästigen. Angefangen vom Großvater, der ihr mit 10 Jahren ihr Fahrrad wegnimmt und es einem Cousin schenkt, weil Mädchen nicht Rad fahren sollen bis zum Schwiegervater eines ihrer Geschwister, der sie belästigt.

Über internet beginnt sie eine Vorstellung davon zu bekommen, dass es auch ein anderes Leben für Frauen gibt und dass keineswegs alle Menschen an einen Gott glauben. Unter Bedingungen, die aus meiner Sicht wiederum absolut menschenverachtend sind, arbeitet sie an einer Rezeption und dann in einem Krankenhaus. Nachdem ein Verwandter sieht, wie sie mit einem Arbeitskollegen spricht, wird sie von ihren Eltern zuhause eingesperrt und darf das Haus nicht mehr verlassen.

Wiederum über internet lernt sie einen jungen Ex-Muslimen kennen, der ihr finanziell bei der Flucht hilft. Im Grunde kann sie das Land ziemlich leicht verlassen, weil sie einen syrischen Pass hat und Syrerinnen sich ganz im Gegensatz zu saudi-arabischen Frauen ohne männliche Begleitung im öffentlichen Raum aufhalten dürfen. Sie fliegt in die Türkei und von dort aus beginnt ihr Weg nach Deutschland über Griechenland und das Mittelmeer.

Es ist ein Buch aus dem man das eine oder andere interessante Detail über das Leben in Saudi-Arabien und über die Pilgerfahrt nach Mekka erfährt. Es ist einfach geschrieben, ich habe es an einem Krankenhaustag fertig gelesen. Ein bissl irritiert hat mich, dass die Berichte der Autorin über ihre Anfänge in Deutschland klingen wie aus dem Handbuch der perfekten Integration, aber vielleicht hat sie ihren Neubeginn tatsächlich so erlebt.

15. Station der Literaturweltreise – Afghanistan

Es liest sich gut auf Yvonnes Spuren ! Ich habe nicht das von ihr rezensierte Buch gelesen sondern das andere, das sie viel besser fand:

Khaled Hosseini ist ein großer Geschichtenerzähler; es ist mir richtig schwer gefallen, Lesepausen zu machen. Die Geschichte ist erschütternd, aber sie hat zumindest für einige der Figuren so was Ähnliches wie ein happy-end; wenn auch der Begriff „happy end“ gar nicht passend ist. Würde das Buch nicht in Afganistan spielen, würde ich sagen, dass soviel Unglück in einem Leben in einem Roman etwas dick aufgetragen ist, aber diese Geschichte kommt mir absolut möglich vor

Erzählt wird das Leben von zwei afghanischen Frauen aus völlig anderen Milieus kommend, mit völlig anderer Geschichte und anderen Charakteren, die denselben Mann heiraten. Keine von beiden tut dies wirklich freiwillig. Der Zwang der Eltern, der Zwang der Gesellschaft, der Zwang der Lebensumstände. Man erfährt vieles vom Leben in Afganistan, von der großen Geschichte und von vielen kleinen.

Wie in allen diesen und ähnlichen Geschichten frage ich mich, wie es geschieht, dass Menschen derartig verrohen können. Auch wenn die gesellschaftlichen Normen es erlauben oder gar fördern, wundert es mich trotzdem. Schließlich wachsen die meisten Männer auch in Afganistan mit Müttern, Großmüttern, Schwestern und Cousinen auf. In diesem Roman ist das Verhältnis zwischen positiven und negativen Männergestalten allerdings ziemlich ausgeglichen.

Die Buchvorstellung bleibt kurz, weil ich noch dringend anderes lesen möchte …..

Fastenbrechen

Ich habe zwar nicht gefastet, war aber trotzdem sehr hungrig. Und siehe da, es gab heute in der Schule ein vom islamischen Religionslehrer organisiertes Fastenbrechen-Fest. Eigentlich gehe ich da ja nie hin…. Das Buffet war riesig, Vegetarisches, Fleischiges, Nachspeisen, mediterrane Hausmannskost gewissermaßen, alles hausgemacht aber in industriellen Mengen. Ich habe mich bei meiner Kollegin bedankt, die mich mehr oder weniger verführt hat. Sie meinte allein schon für die türkische Variante von gefüllten Weinblättern, die ihr eine Schülerin versprochen hatte, würde es sich lohnen das Fest zu besuchen.

Also das Essen war hervorragend, der Gebetsruf, den der Religionslehrer gesungen hat, hat sehr stimmungsvoll geklungen, die Tatsache, dass alle anwesenden Männer, bis auf den Lehrer, in einer Ecke des Raums saßen, hat meine Vorstellung von islamischen Feiern bestätigt.

Insgesamt ein gelungener Abend.