«Ich leb und waiß nit wie
lang, ich stirb und waiß nit
wann, ich far und waiß nit
wahin, mich wundert das
ich [so] frölich bin.»
Magister Martinus von Biberach zugeschrieben (15. Jh.).
«Ich leb und waiß nit wie
lang, ich stirb und waiß nit
wann, ich far und waiß nit
wahin, mich wundert das
ich [so] frölich bin.»
Magister Martinus von Biberach zugeschrieben (15. Jh.).
Ein wunderschöner Text, an dem man sich auch als Agnostikerin erfreuen kann. Wahrscheinlich habe ich mehr von der Bibel gelesen als so manche Gläubige. Allerdings zeichnen sich meine Lieblingsstellen dadurch aus, dass Gott darin nicht vorkommt, es sind Stellen, die ich einfach sprachlich schön finde oder die sich durch Weisheit auszeichnen.
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
Du warst ein Kreativer, der sich Kreativität nur selten gestattete. Auf jeden Fall musste alles, was unter deinen Händen entstand einen Zweck erfüllen. Holz war dabei eines deiner Lieblingsmaterialien. Auch anderes wurde bearbeitet, verändert, nützlich gemacht. In der Zeit in der du Kind warst, waren das Fähigkeiten, die den Unterschied zwischen Hungern und satt sein ausmachen konnten, zwischen einem undichten und einem schützenden Dach über dem Kopf. Es ging nicht darum gestylte Lampions aufzuhängen sondern funktionierende Stromleitungen zu haben. Die Besitzlosen lebten in der Ungewissheit von Wanderbaustellen. Die Besitzlosen und die, die sich dem herrschenden Regime widersetzten. So einer war dein Vater. Als Kind war das für dich eine Katastrophe, der Grund für die Armut, die Benachteiligungen, den Hunger. Du hast diese Seite deines Vaters wohl nie so richtig geschätzt, aber ich bin heute stolz auf meinen Großvater.
Du hast studiert, hast Karriere gemacht, bist wohlhabend geworden. Deine Kinder wissen nicht, wie es ist, etwas das man unbedingt haben möchte nicht zu bekommen. Dein Sarkasmus war wohl Verteidigungslinie gegen Erinnerungen, ein Windhauch, der versuchte gegen den großen Sturm zu blasen. Gegen den großen Sturm aus Krieg und Hunger und Schmerzen. Es hat dich amüsiert, dass die Zeiten nun so sind, wie sie sind, dass Menschen versuchen möglichst wenige Kalorien zu essen, Knäckebrot, eine halbe Tomate und gegen mögliche Depressionen Johannisbeersaft trinken. Ein bissl herablassend hast du auf die Nachgeborenen geschaut, die eine behütete Kindheit hatten, genug zu essen und einen Arzt wenn sie krank waren, die ihre Lebensmittel an jeder Ecke kaufen können und nicht die Rüben aus den Feldern stehlen müssen. Du warst stolz auf deine gewaltige Resilienz und deine Erfolgsgeschichte. Waldeinsamkeit hast du nie gesucht, denn die Kontrolle wolltest du nie aufgeben. Die Kontrolle über die Erinnerungen und das Leben danach und schließlich auch den Tod. Du bist alt geworden, sehr alt und in Frieden gestorben.
Die Graugänse fliegen auf und deine Schritte verklingen im Blau.
Ich bin von diesem Text nicht besonders überzeugt. Manchmal denke ich, er schrammt hart am Klischee vorbei, manchmal denke ich, er ist mitten drin. Aber jetzt habe ich ihn schon geschrieben und stelle ihn auch rein
Mein Beitrag zu *txt. 4. Wort: trüb
Früher hatte sie in diesem Zimmer mit ihren beiden Schwestern gewohnt und mit ihrem jüngsten Brüder. Damals ging sie auch noch in die Schule, hatte Freundinnen. Sie durfte auch beim Turnunterricht mitmachen, sogar schwimmen gehen. Das hatte ihr Freude gemacht.
Dann gab es viel zu tun, das Aussuchen des Brautkleids, die Fotos, die der Bräutigam von sich schickte. Sie war so verliebt in ihn, er schrieb so süß. Dann überlegte sie mit ihrer Mutter wieviel Geld wohl in den Kuverts der Familienmitglieder sein würden und was man damit alles anfangen könnte. Ihre Freundinnen beneideten sie alle, der schöne, aufmerksame Bräutigam, das coole Auto, er hatte sogar einen Job in der Türkei, so einen würde er schon wieder finden, wenn er erst deutsch gelernt hätte. Dann könnten sie in ein großes Haus mit Garten ziehen.
In diesen Zeiten der Träume war sie auch öfter mit ihren Schwestern und Freundinnen unterwegs, manchmal waren sie bei Mc. Donalds, manchmal gingen sie nur spazieren, kauften manchmal Schminksachen. Ihre jüngere Schwester, die jeden Samstag in einem Drogeriemarkt arbeitete, war sehr großzügig mit dem Geld, das sie ihr manchmal gab und mit den Schminksachen, die sie immer mitbrachte. Bis sie dort gekündigt wurde.
Nun wohnte sie schon ein halbes Jahr mit ihrem Mann in diesem Zimmer. Im anderen Schlafzimmer in dem jetzt alle Geschwister gemeinsam wohnten, war es laut und lustig, aber sie fühlte sich davon ausgeschlossen und saß lieber vor dem Fernseher. Ihr Mann hatte das Deutschlernen erst gar nicht begonnen, wozu auch, er arbeitete jetzt im türkischen Supermarkt. Er hatte auch schon viele Freunde mit denen er abends und am Wochenende ausging und Freitags gingen sie gemeinsam in die Moschee. Sie könnte ja zuhause beten, hatte er gemeint, das sei ohnehin viel bequemer.
Vor ein paar Tagen hatte eine frühere Schulfreundin sie angerufen. Ob sie noch in die Schule ginge, hatte sie sie gefragt. Ja klar, sie wollte doch einen Abschluss machen. Aber sie riefe an um zu fragen, ob es sein könnte, dass sie letzten Freitag ihren Mann mit zwei Mädchen in der Disco gesehen hätte. Nein ? Na, umso besser, war schön von dir zu hören.
Und sie war jetzt wohl Hausfrau und noch nicht Mutter. Er hatte ihr schon öfter gesagt, dass er sehr enttäuscht sei von der Situation hier , das hatte er sich ganz anders vorgestellt. Sie weinte, weil sie es sich auch ganz anders vorgestellt hatte. Er glaubte aber, dass sie sich schämte wegen der kleinen Wohnung und dem wenigen Geld und weil sie noch nicht schwanger war. Da tröstete er sie und sagte, wenn er erst reich und berühmt geworden wäre, dann könnten sie mit ihren Söhnen nach Amerika gehen.
Inzwischen saß sie vor dem Fernseher. Ihre Mutter würde sie gleich rufen um ihr beim Kochen zu helfen. Der Vater würde von der Baustelle zurückkommen. Er war sehr froh darüber, dass er noch Arbeit hatte. Sie wusste, dass ihr älterer Bruder den ganzen Tag im Wettcafé verbrachte, aber Angst vor dem Vater hatte und immer vor ihm nachhause kam. Zum Essen waren dann alle da. Danach gingen ihr Bruder und ihr Mann weg, schließlich war es eng in der Wohnung.