Der Fluchtsieger – ABC-Etüden

Wie immer bei Christiane
Drei Begriffe (siehe oben) sollen in einen Text von 300 Wörtern verpackt werden
Die Wörter stammen diesmal vo
m Etüdenerfinder

Heiß war es in dem Gebirgsdorf und staubig. Es war Markttag aber die Stände waren halbleer, es gab kaum etwas zu kaufen. Geld hatten ohnehin nur jene, die ihre Kinder verkauft hatten. Alle wussten davon, aber es wurde nicht darüber gesprochen. In den letzten Tagen ging das Gerücht, dass Talibankämpfer unterwegs waren. Sollten sie die Mohnfelder niederbrennen oder abernten, war das Dorf verloren, dann konnten sich alle genauso gut gleich zum Sterben hinlegen.

Der Rat der Alten hatte einen Entschluss gefasst. Das Dorf würde das letzte Geld zusammenkratzen und einen jungen Mann nach Europa schicken. Die Alten hatten unter ihren Söhnen und Enkeln einen ausgewählt, der viel jünger aussah als er war und viel schlauer und zäher war als er aussah.

Als er erfuhr, dass er der Auserwählte war, freute er sich. Er würde die Einladung annehmen und es bis in das wunderbare Land schaffen, wo ihn ein Haus und ein Auto erwarteten und so viele Frauen wie im Paradies.

Tagelang hatte er nichts gegessen. Ein paar Tage lang hatte der Schlepper ihn und eine größere Gruppe Männer in einem Stall in der Nähe von Istambul untergebracht und immerhin minimal verpflegt dann war er verschwunden. Er hatte es wohl satt so viele durchzufüttern.

Überlebt.Viel hatte er unterwegs gesehen, viel hatte er in dem Land gesehen, das sein Ziel gewesen war nur nicht sein eigenes Haus und Auto und die vielen halbnackten Frauen gab es wohl, aber man sollte sie nicht anrühren. Er war unterwegs mit einem Freund, auf der Suche nach seinem Traumauto. Wenn sie eines sahen, würde der Freund ihn davor fotografieren und das Foto an den vertrauenswürdigen Verbindungsmann schicken, der auch das Geld für das Dorf erhalten sollte, dass er irgendwann überweisen würde. Vorläufig wusste zuhause niemand, dass er nicht der Fluchtsieger war für den er sich ausgab.

300 Wörter

28 Gedanken zu “Der Fluchtsieger – ABC-Etüden

  1. Das ist eine schicke Pointe. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich diese und ähnliche Geschichten so abgespielt haben könnten.
    Schöner Einstieg in das neue Etüdenjahr, vielen Dank! 😉🧡👍
    Nachmittagskaffeegrüße von der Couch ⛅🛋️☕🍪

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    1. Oh ja, man hört immer wieder solche Geschichten und nachdem mir so etwas in die Richtung für mich als einzig mögliche Verwendung des Wortes gleich eingefallen ist, habe ich gleich zugeschlagen. Fein, dass wieder etüdet wird 🌷🌹

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  2. Erst Hoffnungsträger, dann Versager und, wenn er Pech hat, sogar eines Tages zur Rückkehr gezwungen, wo man sich nicht ausmalen möchte, was geschieht – wirklich kein Fluchtsieger. Auch eine gute Variante für das sperrige Wort.

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      1. Ja, das hat es in sich. Ichf rage mich, ob es wohl einfach nur ein journalistischer, eingedeutschter Radsportbegriff aus dem Französischen ist, wenn bei der Websuche nicht einmal ein Wktionary- oder Dudeneintrag dazu auftaucht.
        Aber herausfordernd, und das mag ich an Ludwigs Wortspenden.

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          1. Das hat auch nur das Web hervorgebracht, nicht das eigene Interesse. Mein Mann, der sich unerklärlicherweise so etwas im TV anschaut, kannte den Begriff auch nicht, nur die „Ausreisser“, aber die sind andererseits vielseitiger und bajuwarisch-geläufiges Wortgut für alles, was irgendwie aus der Reihe tanzt. Ich bin jedenfalls gespannt, wer sich das Wort noch für eine andere Verwendung zurechtklopft.

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  3. Faszinierend und traurig zugleich, und so realitätsnah, wie oft wird das armen Menschen, Menschen in Not wohl erzählt werden? Das Geld liege ja nur auf der Straße, man muss es nur aufheben… im übertragenen Sinne…schöner Text – Fluchtsieger, ist echt ein krasses Wort, noch nie gehört

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      1. Viele von den Flüchtlingen werden durch profitgierige Schlepperbanden und EIGENE Landsleute verraten oder ausgenutzt. Das finde ich die traurige Lehre daraus. In diesen kriegerischen Zeiten kann man eigentlich niemandem trauen. Und warum der Schein nach aussen gewahrt werden muss und ein Fake-Foto die Daheimgebliebenen wirklich tröstet?

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        1. So ähnlich war das teilweise auch zu Zeiten als man Menschen aus Afrika als Sklaven verkaufte. Auch an diesen „Geschäften“ waren viele Einheimische und arabische Händler beteiligt.
          Die Fake-Fotos habe ich nicht erfunden. Davon habe ich gelesen. Ob sie irgendjemanden trösten, ist wohl schwer zu sagen …

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