Die ABC-Extra-Etüden
Wie immer bei Christiane
Die Wörter stammen diesmal von Viola-et-cetera und Werner Kastens
Fünf der sechs vorgegebenen Wörter in einen Text von maximal 500 Wörtern verpackt.
Gleich um die Ecke, im übernächsten Haus wurde ein neues Geschäftslokal eröffnet. Früher befand sich hier eine Firma, die sich mit den administrativen Seiten des Todes beschäftigte. Sie versprach den Angehörigen der Verstorbenen in blumigen Worten sämtliche Amtswege wie Vorsprachen bei Notaren oder die Organisation der Bestattung zu übernehmen.
Bei der neu eröffneten Firma ist die Abweichung von diesem Geschäftsmodell gar nicht so groß. Ein paar Stufen hinunter und man betritt Räume mit eher trüber Beleuchtung und findet dort eine lange Reihe von Türen vor, wie in einem Keller, in einem Gefängnis, an einem Ort, an den ein unabwendbares Schicksal führt. In den Abteilen modern die Requisiten so manchen Lebens, verstauben Erinnerungen, deren Besitzer sie nicht behalten wollten und sich auch nicht von ihnen trennen konnten. Wenn die Lebenshorizonte sich verengen, scheint der Besitz vieler Dinge Halt zu geben.
Wir blicken in ein solches Abteil hinein, ein ziemlich großes. Hier lagern Möbel. Die Besitzerin des Abteils konnte sich nicht von der Kommode trennen, in der sie den Schmuck aufbewahrte, der ihr von einem kurzfristigen Liebhaber gestohlen worden war. Später erfuhr sie, dass er mit dem Erlös die Bank in einem Casino sprengen und dann als finanzkräftiger Held eventuell zu ihr zurückkehren wollte. Die Kommode blieb. Ebenso der Tisch auf dem sie mit dem Nachfolger des gescheiterten Casinokönigs diese und jene Kamasutra-Position ausprobiert hatte. Dieser Liebhaber verschwand, weil er sie letztlich doch zu spießig fand. Der Tisch blieb, doch wollte sie ihn ebenso wenig wie die Kommode ständig vor Augen haben und so landeten beide in diesem Speicherabteil und verstauben vor sich hin. Überall auf der Kommode, auf und unter dem Tisch stehen Unmengen von Schachteln, in denen Erinnerungen lagern, staubige Erinnerungen, Glück, Katastrophen, nicht verarbeitete, nicht losgelassene Vergänglichkeit. Bierdeckel mit Telefonnummern, Eintrittskarten in Theater und Kinos, Kleidungsstücke, die zu bestimmten Gelegenheiten getragen wurden, Tagebücher, die von längst Vergessenem berichten, falls die Schrift nicht schon ausgebleicht ist. Es riecht nach Schimmel, Staub und verzweigten Wegen ins Unglück.
Das Nebenabteil beherbergt einerseits die Winterreifen seines Besitzers und andererseits einen Chellokasten umgeben von hohen Stapeln von Partituren. Über den Besitzer dieses Abteils wissen wir nur, dass er zweimal jährlich seine Reifen austauscht und dabei dem musikalischen Bereich des Abteils keinen Blick schenkt. Vielleicht ein Teil seines Lebens mit dem er abgeschlossen hat. Ganz hinten, vom Chellokasten großteils versteckt, lagert noch eine Kiste mit Kleidern. Sie sehen aus wie selbst genäht, aus kostbaren, seidigen Stoffen, in leuchtenden Farben, sorgfältig zusammengefaltet und nicht sehr staubig. Die Kiste ist fest verschnürt und darauf steht in unübersehbaren, großen Buchstaben „Eisenbahn“. Erstaunlicherweise riecht es hier nicht staubig, der Geruch ist schwer zu fassen, eine Komponente scheint Parfum zu sein, die anderen Anteile erlauben mehrere Interpretationen.
Wie erschlagen vom Leben anderer verlässt man den Ort. Es hilft dann nicht viel zu vermuten, dass alle Geschichten, die hier herumspucken frei erfunden sind. Dadurch werden sie nicht weniger bedrückend. Hier fehlt der Wind der Veränderung, der überall durchblasen und die festgefahrenen Leben wieder in Bewegung bringen sollte.
Ich hatte überlegt, hier ein kleines Abteil zu mieten um meine Wohnung von den vielen herumstehenden Bildern zu befreien. Nein. Ich werde sie alle übermalen und neue Bilder daraus machen. Veränderung ist Leben.
Bei den letzten zwei Absätzen überlegt man ob es jetzt eine Geschichte oder aus deiner Realität stammt.
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Das gehört zu der Art Rätsel für die es keine Auflösung gibt 🙂
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Ja, das habe ich auch schon öfter gedacht, wenn ich Werbung für diese Self-storage-Dinger sehe: Was für Geschichten dort wohl lagern mögen, Dachboden hoch unendlich.
Schön.
Vielen Dank fürs Mitschreiben!
Liebe Grüße
Christiane 😁👍🌼
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Ja, an solchen Orten steckt enormes Potential für Geschichten.
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Deine Etüde macht aus einem recht nüchternen Ort einen interessanten und magischen Ort. Toll geschrieben.
Grüße, Katharina
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Danke schön ! Ich finde ja, wie gesagt, dass so ein Ort eine Unzahl an Geschichten beherbergt ….
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Solche Orte gibt es tatsächlich, liebe Myriade? Ich habe nocb nie welche gesehen, nur Gerümpelkammern und vollgestellte Speicher voller Spinnweben oder ist alles frei erfunden und es gibt diese Art von Museen gar nicht?
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Doch, doch, die gibt es. Man kann Abteile verschiedener Größe mieten und dort lagern was immer man möchte. In Wien heißen sie City-Storage.
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Ich habe von solchen Abstellräumen auch noch nie gehört. Man merkt, dass wir auf dem Lande wohnen.
Die „Auslagerung“ kommt mir das vor wie die Gedächtnisseiten im Internet für Verstorbene: irgendwie mag ich das nicht.
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Viel besser ist es , nicht zu viele unnötige Dinge zu besitzen
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