Buch-Date im Juli

Das Buch-Date ist ein von Flumsi und Zeilenende   koordiniertes Leseprojekt. Die Teilnehmer*innen empfehlen einander 3 Bücher, von denen man mindestens eines lesen und besprechen soll.

Floreca empfahl mir: 

Matt Ruff – Ich und die anderen.  Ein Buch, dass ich schon gelesen habe und dass mir gut gefallen hat. Es geht um einen Mann mit multipler Persönlichkeit, der sich und seine anderen Anteile als Personen sieht, die gemeinsam in einem Haus wohnen und die alle ihre eigenen Bedürfnisse haben. Und dann trifft er eine Frau, die ebenfalls eine multiple Persönlichkeit ist. Ich kann mich nicht mehr genau an die Handlung erinnern, aber daran, dass es ein Buch zwischen unterhaltsam und nachdenklich war …..

Jorge Bucay – Komm, ich erzähl Dir eine Geschichte Warum auch immer hat mich dieses Buch nicht angesprochen.

Gelesen habe ich 

Dave Eggers – der circle

Es ist eine ziemlich erschreckende Dystopie. Ein weltumfassender Konzern namens Circle (dafür muss man natürlich Google einsetzen) möchte – geleitet von Drei Weisen – eine bessere Welt schaffen, ohne Verbrechen,  mit lückenloser Überwachung aller und permanenter verpflichtender Kommunikation.

Zur Erreichung dieses Ziels kauft der Konzern laufend Start-Ups auf, die sich durch ein Projekt auszeichnen, das in die Konzern-Philosophie passt. Zum Beispiel der Chip, der jedem Kind implantiert wird, damit es jederzeit geortet und nicht mehr Opfer einer Entführung werden kann. Oder das verpflichtende social-media-account für alle Bürger beim Circle, mittels dessen man wählen kann/soll/muss.

Die geschilderte Firmenphilosophie des Circles lehnt sich ein bisschen an die slogans aus „1984“ an und lauten:

  • Geheimnisse sind Lügen
  • Teilen ist Heilen
  • Alles Private ist Diebstahl

Die Protagonistin des Romans ist Mae, eine junge Frau, die gerade über Vermittlung einer Freundin einen Job im Circle erhalten hat. Ihre Aufgabe besteht zunächst darin irgendwelche nicht genau beschriebenen Kundenanfragen zu beantworten. Gleichzeitig muss sie aber mittels diverser Bildschirme auch mit ihren Kollegen und möglichst vielen anderen Leuten kommunizieren, sowie ständig Bewertungen von banalsten Äußerungen machen. Sie muss in verschiedenen rankings immer mehr aufsteigen oder zumindest nicht zurückfallen und sie muss selbst Nichtigkeiten aus ihrem Leben posten. Allein bei der Beschreibung bleibt einem die Luft weg:

„Um 22:16 betrug ihr Ranking 5342 und wieder war die nächste Hürde – diesmal bei 5000 – schwer zu überwinden. Sie schrieb eine Reihe von zings über einen neuen Service des Circles (…) und einer der zings, ihr siebter zu dem Thema zündete und wurde 2.904 Mal rezingt, was ihren PartiRank (= PartizipationsRank) auf 3.887 hochschnellen ließ. (…) Die Gesamtzahl von Statistiken, die sie trackte, betrug nur 41. Ihre Gesamtpunktzahl beim Kundendienst betrug 97.Ihr letzter Punktestand betrug 99. Der  Durchschnitt ihrer Subteams betrug 96 (…) Ihr zweiter Bildschirm zeigte die Zahl von Nachrichten, die andere Mitarbeiter an dem Tag geschickt hatten, 1.192 und die Zahl der Nachrichten, die sie gelesen hatte, 239 und die Zahl, auf die sie reagiert hatte, 88. Er zeigte die Zahl von neuen Einladungen zu Circle-Events, 41, und die Zahl auf die sie geantwortet hatte, 28.Er zeigte die Zahl der Besucher von Circle-Websites an dem Tag, 3,2 Milliarden (…) p224

… und so weiter und so fort. Smiles und Frowns werden verteilt, man tritt den Netzwerken zufälliger Besucher bei, füllt Formulare zu jedem Thema aus, bewertet, ratet …… aber es geschieht gar nichts

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt habe ich darüber nachgedacht meinen blog zu schließen, habe es mir aber wieder anders überlegt.

Es ist mit den meisten Leuten noch nicht so schlimm wie hier beschrieben, google hat auch nicht annähernd die Macht, die der Circle hat, die Entwicklungen in diese Richtung sind nicht so schnell und nicht ganz so beängstigend wie in diesem Buch, trotzdem eine ziemlich schaurige Vision ……

Ich bedanke mich nochmals für die Empfehlung, es war eine sehr interessante Lektüre, die mich auch zu einiger Selbstkritik angeregt hat.

18 Gedanken zu “Buch-Date im Juli

  1. Krass … Ich habe den Circle vor ein paar Jahren schon gelesen. Nach deiner Rezension sind mir ein paar neue Dinge aufgegangen.

    Noch nicht so weit … Oder doch? Die Google-Algorithmen sind mittlerweile richtig gut. Und Google wie Facebook sind sehr munter darin, Start-ups aufzukaufen, die unser Leben immer weiter vernetzen. Das Problem unserer Welt ist weniger, dass die Technologie noch nicht so weit ist, die Infrastruktur, alles automatisch miteinander zu vernetzen, ist es noch nicht. Deshalb kauft Google ja die Start-ups, da geht es um Sensor-Technologien, Smart Homes, etc. Es geht drum, die Infrastruktur zu schaffen. Und Amazon Echo ist auch ein gewaltiger Fortschritt hin zum Circle.
    Das Gute ist: Amazon, Facebook und Google sind drei Konzerne und nicht einer. Das erlaubt es uns, jeweils zu entscheiden, was wir preisgeben wollen und was wir in Kauf nehmen wollen.
    Andererseits hat Google sein „Motto“ von Don’t be evil zu Do the right thing geändert – was einem Angst machen kann. Und:

    Oder das verpflichtende social-media-account für alle Bürger beim Circle, mittels dessen man wählen kann/soll/muss.
    Das würde ja eine Privatisierung von Staatsaufgaben voraussetzen. Und mit einem US-Präsidenten, der seinen Staat nicht nur wie ein sondern als Unternehmen führt, entfaltet der Circle, obwohl schon ein paar Jahre alt, noch einmal eine neue Wirkung.

    Toll, jetzt bin ich paranoid. 😉

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    1. OH je ! Aber wer weiß, ob so ein Aluhut nicht doch …… naja ….
      Ganz besonders erschreckend finde ich eben das scheinbar wohlwollende, right-thing-tuende, weltverbessernde. Es läßt sich ja nicht leugnen, dass Überwachung dieser Art die Kriminalität vermindert …..

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      1. Aber eben auch die Freiheit. Und das ist immer der Moment, wo man nur noch Benjamin Franklin zitieren kann: „Those who surrender freedom for security will not have, nor do they deserve, either one.“

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  2. Es tut mir leid, wenn ich jemanden paranoid gemacht haben sollte mit meiner Empfehlung ;). Aber es freut mich sehr, dass es hier zu einem Austausch kommt. Tolle Rezension, Myriade und Danke für das Date :)!

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  3. ich fand es ziemlich überzogen, ab einem bestimmten Punkt. Schließlich würde ich nicht meine Eltern filmen und online stellen. Und auch würde ich niemanden zwingen, sich zu beteiligen, wie diesen Freund von Mae. Realistisch fand ich den Einheitszugang – ein Account für alles und die Forderung nach Transparenz von Politikern. Aber mal ganz ehrlich: Wir leben in Deutschland. German Angst: In Deutschland gibt es mir Lehraufträge an den Universitäten für Privacy und Datenschutz, als sonst auf der Welt. Wir sollten uns eher fürchten, den technologischen Anschluss zu verpassen…. Sonst sind wir schnell nicht mehr konkurrenzfähig. Ob Digitalisierung oder künstliche Intelligenz – die Asiaten sind uns sehr weit voraus. Wenn wir nicht aufpassen sind wir eines Tages die Werkbank von China und nicht länger umgekehrt….

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