Samstag 24.Juni 2023 – Synonyme gesucht für skurril, bizarr …

Wie im absurden Theater kam es mir vor. Morgens weckte mich der F mit der Nachricht, dass in Russland anscheinend gerade ein Putsch stattfindet. Dann ging es den ganzen Tag lang hin und her, Prigoschin ja, Prigoschin nein. Wie bei „Warten auf Godot“ kam es mir vor. Gerüchte, ganz selten Bestätigungen von Gerüchten, auf und ab. Seltsame Nebengestalten traten auf: Lukaschenko, der nur von Putins Gnaden noch an der Macht oder überhaupt noch am Leben ist, sollte als Vermittler aufgetreten sein. Davor ging das Gerücht, er hätte sein Land längst verlassen, aus Angst vor Putins möglicher Niederlage.

Der F hing an den Lippen eines russischen Militärbloggers, weil er meinte, dass es wahr sein könnte, wenn dieser bedingungsslose Verehrer Putins etwas von einem Erfolg Prigoschins berichten würde. Irgendwann hieß es Putins Flugzeug sei nach St.Petersburg geflogen, das war aber ein so nebuloses Gerücht, dass sich gar niemand mit dessen Überprüfung beschäftigte. Nicht ganz so nebulos aber auch unbestätigt blieb das Gerücht, dass die Armeeführung gegen die Prigoschin seit Monaten wettert, abgesetzt worden wäre.

Angeblich war Prigoschins Truppe nach Moskau unterwegs und hatte davor wichtige militärische Kommandostellen besetzt, kurz bevor sie aber Moskau erreichten, rief er seine Leute zurück, weil er kein russisches Blut vergießen wollte. Bei einem Söldnerführer, der sich als brutaler Schlächter hervorgetan hat kein sehr überzeugender Grund. Schließlich erfuhr man, dass als Ergebnis eines deals Prigoschin nach Weißrussland zu Lukaschenko ins Exil gehen würde und seine Söldner teilweise in die reguläre Armee eingegliedert werden. Im Rückblick war das wohl alles im Voraus bestens geplant. In dieser Geschwindigkeit hätte niemand unvorbereitet einen Deal geschafft.

Fazit dieses bizarren Tages, über dessen wahre Hintergründe wir wohl nicht alles erfahren werden: Prigoschin, der die Armeeführung sehr aggressiv und anhaltend kritisiert hat, der Putins Narrativ darüber , warum er die Ukraine angegriffen hat als nichts als Lügen und Propaganda bezeichnet hat, der schließlich den Kreml angreifen wollte, dieser Prigoschin ist gescheitert, wurde zwar offiziell begnadigt, wird aber wohl nicht mehr allzulange leben. Überall gibt es Fenster aus denen man fallen kann, wie so manche Oligarchen schon erfahren haben, Auch Nowitschok wird sicher noch in ausreichender Menge produziert. Putin seinerseits ist aber ebenfalls machtpolitisch schwer angeschlagen.
Wie es mit der Loyalität und dem Vertrauen in Russland aussieht, kann man auch daran ermessen, wie wenige Personen auf hohen Posten für einen der beiden Kontrahenten öffentlich Partei ergriffen haben. Sie haben wohl abgewartet, was sich als klüger herausstellen würde.

Skurrile 24 Stunden waren das und es wird sicherlich noch ein Nachspiel geben. Ebenso wie im absurden Theater ist Godot nicht gekommen.

29 Gedanken zu “Samstag 24.Juni 2023 – Synonyme gesucht für skurril, bizarr …

  1. Mit Putin geht es zu Ende, trotz dieses wirren Rückziehers von Prigoschin. Der Braindrain ist schon gewaltig jetzt, gestern waren auch alle Privatjets aus Moskau verschwunden. Der Rückhalt bei der Elite scheinbar nicht mehr wirklich gegeben. Das grosse RussLand zerstört sich jetzt einfach selbst!

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  2. Auch ich habe erst nachmittags überhaupt was mitgekriegt – bis ich dann, um eine Zusammenfassung zu bekommen, vor dem TV saß, war schon wieder alles um – jedenfalls die akute Situation.
    Und nun sitzt man da und fragt sich: und was werden die Folgen sein? Wird es überhaupt welche geben? Für wen?
    Also, ICH bin völlig ideenlos.
    Man wird es sehen….

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  3. Ich meine, im Grunde ging es um die Lösung eines Problems, das immer auftauchen kann, wenn Söldnerheere neben regulären Truppen agieren und zu mächtig werden. Prigushin befehligt eine große Formation, daneben gibt es andere, kleinere. Der Tschechene Kadyrov meldete sich auch gleich aus der Versenkung und drohte, Prigushin aufs Haupt zu schlagen. Solche Vorgänge gab es schon immer: viele Söldnerführer versuchten, sich an die Spitze des Staates zu setzen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt wurden. Im Grunde ist zB Kaiser Augustus als Söldnerführer an die Macht gekommen.

    Was also ist in Russland geschehen? Seit etlicher Zeit versucht die Armeeführung, die Söldnertruppen in die reguläre Armee zu integrieren. Prigushin wehrte sich lauthals. Die Bezahlung seiner Söldner durch das Verteidigungsministerium kam ins Stocken. Zu wenig Geld, zu schlechte Munition und gefährliche Befehle, durch die seine Truppe stark vermindert wurde. Ginge es so weiter, wäre das das Ende seiner Macht.

    Also versuchte er, seine Verhandlungsposition gegenüber der Armeeführung zu verstärken, indem er sie beschimpfte, sich als den eigentlichen Patrioten hinstellte und schließlich den „Marschauf Moskau“ ausrief.. Putin reagierte eindeutig: er nannte ihn einen Verräter und zog mit schwerem historischen Vergleichen auf (1917, Sonderfrieden von Brest-Litowsk). Keine Verhandlung über den Status der Söldnertruppe.
    Lukashenko wird ihm das Aussichtslose seines Unterfangens klar gemacht haben. Also ging er nach Minsk, um seine Haut zu rettern. Die Söldner aber kehrten zurück an die Front, nun unter dem direkten Befehl der Armee.
    Ähnliche Vorgänge hättest du bei den Ukrainern studieren können: auch da ging es und geht es immer wieder darum, eigenständig agierende Verbände des Rechten Sektors unter die Kontrolle der zentralen Militärführung zu bringen. Eine schwierige Balance, denn diese Verbände sind oft besonders kampferfahren und brutal, ergo effektiv. Auch Zelensky möchte sie nicht zu Gegnern haben …

    Alles andere, was du schreibst, beweist mal wieder die zitternde Gier der Medien, einen Bürgerkrieg in Russland herbeizureden. Im Gegensatz zu den Medien hielten sich die Regierungen zurück, denn ihnen ist angst und bange, was geschehen würde, wenn Putin stürzte und solche Banditen wie Prigushin und andere unkontrollierbare Elemente die Atommacht Russland in die Hand bekämen.

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  4. Hoffen wir mal, dass wir nicht Pregoschin demnächst als Nachfolger Putins präsentiert bekommen. Inzwischen halte ich ziemlich alles für möglich. Mich wundert, dass die Ukraine aus der momentanen Verwirrung und Schwächung des Gegners nicht mehr macht. Wenn sie erst darauf wartet, dass die kampfstarken Wagnerleute in die reguläre Armee einsortiert sind, hat sie eine Riesenchance vertan.

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    1. Ja, Prigoschin ist natürlich um nichts besser als Putin. Eher noch ein Stück hemmungsloser und brutaler. Allerdings kommen seine Aussagen zum Ukrainekrieg der Wahrheit näher als die Putins. zB die Anzahl der gefallenen russischen Soldaten und die von Putin verkündeten Gründe für den Überfall der Ukraine, die er als Lügen und Propaganda bezeichnet hat.

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        1. Du musst dir nur seine Biographie ansehen. Beginn der Karriere als Räuber, 9 Jahre Gefängnis, Catering-Unternehmer mit besten Verbindungen zum Kreml, Chef eines Söldnerheers, das für die ganz schmutzigen, blutigen Aufgaben beschäftigt wird, in Afrika in Syrien …..

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          1. Ich meinte den anderen Teil deines Kommentars: „…kommen seine Aussagen zum Ukrainekrieg der Wahrheit näher als die Putins. zB die Anzahl der gefallenen russischen Soldaten und die von Putin verkündeten Gründe für den Überfall der Ukraine,“

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            1. Was die Anzahl der gefallenen russischen Soldaten betrifft, so sind sich alle Kommentatoren mit militärischem Know-How inklusive der russischen Opposition einig, dass die offiziellen russischen Zahlen nicht stimmen können. Was Lügen und Propaganda betrifft, so stelle ich dir die gleiche Frage woher weißt du, das Putin die Wahrheit sagt und keine propagandistischen Lügen verbreitet, obwohl diese immer und immer wieder von verschiedenen Seiten aufgedeckt werden oder von selbst ans Licht kommen ?

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              1. Ich habe nicht behauptet, die wahren Daten zu kennen. DU hast es behauptet. Darum fragte ich nach deinen Quellen. „Alle Kommentatoren mit militärischem Know-How“ stimmt jedenfalls nicht, es gibt da unterschiedliche Schätzungen.
                Im übrigen wollte ich, dass diese Blutmühle aufhört. „Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich“ (Brecht)

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                1. Natürlich weiß niemand die genaue Zahl, woher auch, einig sind sich alle darüber, dass die offiziellen russischen Zahlen geschönt sind und dass die meisten Toten nicht aus Moskau oder St.Petersburg stammen, sondern aus den peripheren Provinzen der russischen Föderation, wo andere Ethnien leben.
                  Aber ja, man kann sich immer, mit oder ohne Brecht darauf zurückziehen, dass jede/r Kriegstote zu viel ist …

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