Eis und Schnee und Hunger

Ich war den Sommer und den Herbstanfang unter anderem im Polareis unterwegs. Nachdem ich immer mehrere Bücher gleichzeitig lese und die beiden Polarbücher richtig dicke Wälzer sind, hat es eine Weile gedauert bis ich die Arktis wieder verlassen hatte.

Als erstes habe ich die „Erebus“ von Michael Palin gelesen. Der erste Teil war für mich etwas zähflüssig, weil in dem Buch die Geschichte des Schiffs und nicht so sehr die seiner Besatzung(en) erzählt wird und mich Schiffsbau eigentlich gar nicht interessiert. Die ersten Fahrten der Erebus gingen auch nicht in die Arktis. Aber nachdem das Schiff für das Polareis gerüstet und beladen war, brach die Franklin Expedition auf und ab diesem Zeitpunkt fand ich es sehr interessant. Nur vier Mitglieder dieser Expedition überlebten und das auch nur weil sie frühzeitig von Bord gegangen waren.

Nach drei Jahren im Eis versuchte die Gruppe zu Fuß südlich zu wandern und bewohnte Gebiete zu erreichen, was ihnen nicht gelang, sie starben alle. Das Wrack der Erebus wurde gefunden, auch viele Leichen der Besatzungsmitglieder. Vor kurzer Zeit begann man mit deren Identifizierung mittels DNA-Analyse. Verblüffend ist, dass die Expeditionsmitglieder nicht etwa an Bleivergiftung starben, wie man lange angenommen hatte. Abgesehen von Hunger und Kälte war ein enormer Zinkmangel gegeben, der das Immunsystem sehr schwächt und damit Krankheiten wie Tuberkulose und Skorbut Tür und Tor öffnet.

Durchaus interessant fand ich auch die Passagen, in denen über die Zeit berichtet wird, in der Franklin Gouverneur von Tasmanien war. Ein interessantes Buch, aber keines, das mich umgeworfen hat.

Ganz anders das zweite Buch „Die Polarfahrt“ von Hampton Sides. Hier ist der Erzählstil viel näher an den Protagonisten und es geht nur um eine Expedition. Dieses Buch hat mich von Anfang bis Ende gefesselt. Nicht zuletzt deswegen, weil die Personen sehr gut herausgearbeitet sind und weil sich der Autor aus vielen Quellen Details erarbeitet hat, auch Tagebücher und Briefe wurden berücksichtigt.

“ So grausam das Eis war, so schön konnte es sein. Das Meerwasser, das von unten an die Schollen klatschte, erzeugte ein monotones Rauschen, es erinnerte an den Klang eines Insektenschwarms und hatte etwas Beruhigendes. Hier und dort begegneten die Männer kunstvollen, aus Eis geformten Gebilden, die in einem Blauton schimmerten, der nicht von dieser Welt zu sein schien. An manchen Stellen hatte eine Algenart auf dem Packeis eine dünne Schicht hinterlassen, die ihn rot färbte, weshalb er auch Blutschnee genannt wurde. DeLong beschrieb fasziniert den Moment „wenn das Sonnenlicht durch den Nebel bricht und dabei wie ein Betrunkener zu zwinkern scheint.Die schwere, feuchte Luft war „gesättigt von einem Seufzen und Kreischen, das aus allen Richtungen gleichzeitig kommt“ und dort , wo zwei Eisstücke zusammenstießen „erheben sich Zentimeter um Zentimeter kleine Rüssel aus Schnee“ S 334

Auch diese Expedition verbringt zwei Jahre eingeschlossen im Packeis, bis das Schiff doch von der Gewalt des Eises zerdrückt wird. Die Besatzung versucht mit drei kleinen Booten die sibirische Küste zu erreichen. In einem Sturm werden die drei Boote getrennt. Eines geht unter, die beiden anderen erreichen an verschiedenen Stellen Land. Obwohl ich den Ausgang der Geschichte kannte, fand ich den Text sehr spannend geschrieben, vor allem wegen der vielen Details. Man ist ganz nahe am Geschehen.

Diese Expedition hatte großes Pech, denn sowohl räumlich als auch zeitlich trennte sie mehrmals sehr wenig von einer Rettung. Es überlebten zwei Männer aus dem einen Boot, die, weil sie die kräftigsten waren vom Kapitän vorausgeschickt wurden und die Gruppe aus dem anderen Boot, die etwas mehr Glück hatte.

Hinter dieser Geschichte steckt der furchtbare Irrtum des im 19.Jahrhundert renommierten Geographen und Kartographen August Petermann, der der festen Überzeugung war, dass rund um den Nordpol freies Wasser zu finden sei und aufgrund einer warmen Strömung ein milderes Klima. Nichts davon bewahrheitete sich.

Das Schicksal der DeLong-Expedition auf der „Jeanette“ , eine sehr gründlich recherchierte, tragische, wahre Geschichten. Mit dem nächsten Eisbuch warte ich jetzt bis zum nächsten Sommer. Derzeit sind die Temperaturen schwankend und ungewiss und ich muss mich nicht unbedingt ins sogenannte ewige Eis denken.

38 Gedanken zu “Eis und Schnee und Hunger

  1. Danke für diese Buchvorstellungen!
    Die beiden Bücher hab ich mir jetzt direkt mal auf meine Leseliste gesetzt, wobei ich „Technikfreak“ insbesondere das Buch von Palin sehr interessant finde.
    Aber auch das andere klingt gut.

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    1. Freut mich, dass sie dir interessant erscheinen. Man muss dazu schon ein Polarexpeditionsfan sein, weil es schon gewaltige Wälzer sind an denen man schon sehr lange liest. Gut, wenn man nicht – wie ich – mehrere Bücher gleichzeitig liest, geht es schneller 😉 Ein schönes WE wünsche ich euch

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  2. Schade, dass Du schon wieder zurück bis. So kann ich Dir lediglich zwei Bücher empfehlen, die mich begeistert haben, auch wenn das schon Jahre zurückliegt.

    Um die Findung der Nordwestpassage und die beeindruckende Persönlichkeit des Kapitäns John Franklin geht es in dem Werk von Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit.
    Und was die Nordostpassage und östereichisches Expansionsstreben betrifft, empfehle ich von Christoph Ransmayr: Die Schrecken des Eises und der Finsternis.

    Aus beiden Büchern habe ich Erkenntnisse gewonnen, die sich auf meinem Lebensweg als sehr hilfreich erwiesen haben.

    Viele Grüsse
    Robert

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    1. Da ich Deine beiden Bücher nicht kenne, habe ich eben mal recherchiert.
      Das Werk von Michael Palin (Mitglied der Monty Python Truppe) beschreibt die Biografie über ein Schiff, der Erebus. Im Grunde behandelt er wie Stan Nadolny die Suche nach der Nordwestpassage. Er schrieb lediglich aus einem anderen Blickwinkel.

      Meine beiden Buchempfehlungen sind natürlich für Deine nächste Polfahrt gedacht; das habe ich oben etwas missverständlich geschrieben.

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      1. Aber nein, lieber Robert, es war nicht wirklich missverständlich. Ich freue mich eh schon auf die nächste Expedition, die ich aber, wie es sich im wahren Leben bewährt hat, im Sommer antreten werde.

        Den Nadolny habe ich noch nicht gelesen. Er wird aber so allgemein empfohlen, dass ich das ganz dringend nachholen muss. Ich habe gelesen, dass sein Psychogramm von Franklin sehr interessant aber fiktiv ist.

        Den Ransmayer dagegen habe ich sehr bald nach Erscheinen gelesen und in sehr guter Erinnerung. Besonders zwei Aspekte sind mir in Erinnerung geblieben: der ungewöhnliche Führungsstil des Kapitäns und das Knarren und Knirschen der Schiffsplanken als Hintergrundgeräusch.
        In Franz-Josephs-Land kann man ja in 100 Jahren dann Kokospalmen pflanzen *Ende des Galgenhumors*

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        1. Ich werde den Michael Palin wahrscheinlich auch lesen, und seis nur, um Ähnlichkeiten mit Nadolny zu vergleichen.
          Nadolnys Psychogramm ist zwar fiktionalisiert, aber ich habe damals gelesen, dass Franklins Grundzüge tatsächlich gewesen seien.

          An der Ostseeküste sollen angeblich in 50 Jahren Palmen besser gedeihen als die derzeitigen Kiefern. Das hat mir ein Biologe erklärt…

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  3. Fortsetzung folgt dann nach der nächsten Hitzewelle?
    Zwei sehr interessante Leseberichte, in denen das Zitat mich gleich in die Arktis entführte, da es so sinnlich die Eindrücke der Landschaft beschreibt.
    Was für eine überwältigende Gabe doch das Lesen ist: es schenkt uns Welten und Menschen in Fülle, die wir nie erreichen könnten.

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    1. Ich fand diese Stelle auch so bemerkenswert! Ich las sie direkt zweimal und fühlte dieses überirdische Blau über und unter meinen Füßen. Toll. Vielen Dank für die Lesebesprechung, mir ist aber auch zu kalt, um jetzt ein Arktisbuch zu lesen 😀

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      1. Dieses ungeheure Eisblau habe ich schon in Island gesehen, wunderschön und richtig erhebend! Für die Besprechung von zwei Büchern ist es etwas kurz geworden, aber es ist ja mehr als Hinweis gedacht 🙂

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    2. Genau, ich habe eine arktische Leseliste für den Sommer begonnen 😉 Eine schöne Stelle, nicht. Man sieht daran auch wie gut der Autor Originalzitate aus den Tagebüchern und Briefen in seinen Text eingebaut hat Ja, durch das Lesen kann man tausende Leben führen, so vieles kennenlernen…

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  4. Ich las irgendwo, dass man das Schiff verlassen hätte, gewiss, Nahrung finden zu können. Doch das Seehundjagen war eine sehr diffizile und hochkomplexe Angelegenheit.
    Also gewissermaßen Hybris des technologisch sich überlegen wähnenden Menschen.

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  5. Ich bin nach diesen beiden Büchern, die ich sehr interessant, spannend und mitreissend fand, den Polarexpeditionen treu geblieben. 😉 Neulich habe ich 635 Tage im Eis – die Shackleton-Expedition gelesen, und zur Zeit wühle ich mich durch Irrenhaus am Ende der Welt – die Reise der Belgica in die dunkle antarktische Nacht. Letzteres kann mich nach etwa hundert Seiten noch nicht so recht begeistern, aber von 635 Tage im Eis… war ich ganz hingerissen. 😉

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        1. Ohhh, klingt sehr deprimierend. Natürlich kann niemand etwas dafür, den Schrecken der Arktis nicht gewachsen zu sein. Die DeLong -Expedition hat ja auch tragisch geendet, aber die Personen waren großteils charakterlich sehr imponierend. Es gab auch keinen Kannibalismus, was bei anderen Expeditionen intensiv vermutet wurde

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          1. Auch bei der Shackleton-Expedition waren die Charakterfestigkeit und der Wille der Besatzung herausragend, nicht zuletzt weil Shackleton ihnen ein so gutes Beispiel vorgelebt und viel getan hatte, um die Moral und Stimmung während der langen schrecklichen Zeit hoch zu halten. De Gerlach, der Leiter der Belgica-Expedition, besaß einen ziemlichen Standesdünkel und hatte im Grunde genommen weder ausreichend Erfahrung noch eine gute Menschenkenntnis. Hätte es den genial-verrückten Schiffsarzt Frederick Cook und den damals noch recht jungen Roald Amundsen nicht gegeben, dann hätte die Belgica-Expedition verdammt übel ausgehen können.

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                  1. Ich hoffe sehr auf einen Lesebericht über Burundi, da ich zur Zeit einen Lektüreschwerpunkt auf afrikanische Literarur setze. Eigentlich richtet sich mein Interesse auf Zeitgenössisches, aber mich hat gerade Nagib Mahfus mit der Kairotrilogie am Haken, die erstens etwas älter (50er Jahre) und stark arabisch geprägt ist.

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  6. Danke für Ihre Aufmerksamkeit !

    Merci pour votre attention!

    Aldana.

    El sáb., 5 nov. 2022 2:33 a. m., MYRIADE – La parole a été donnée à l´homme

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  7. Tsitsi Dangarembga natürlich, A.Igoni Barrett (Blackass), Marie NDiaye (Drei starke Frauen) bisher. Es liegen noch zwei weitere Romane hier, und danach werde ich entscheiden, ob es mit Afrika noch weiter geht, oder ob ich erst mal Clemens J.Setz erkunden will.

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      1. Tsitsi Dangarembga ist eine sehr vielseitige Frau aus Zimbabwe, nicht „nur“ Autorin, auch Regisseurin u.a..Igoni Barrett ist Autor aus Nigeria, schreibt wohl auf Englisch. Es scheint mir, dass die meisten hier erfolgreichen Autoren den Kontinent verlassen haben und in Europa oder USA leben. Sehr interessant finde ich das Verlagsprogramm des Verlag Das Wunderhorn GmbH (Reihe AfrikAWunderhorn).

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