Montag 14. Februar 2022 – Von Phrasen und Floskeln

Um diese Jahreszeit denke ich gerne an einen Kollegen namens Hans, der Haus und Garten im tiefsten Waldviertel besitzt und meist Anfang März mit den ersten Gartenarbeiten beginnt. Sofern kein Schnee mehr liegt und es auch nicht mehr sehr kalt ist. Manchmal kann es auch April oder gar Mai werden, denn das Waldviertel ist der österreichische Kältepol.

Sein Garten liegt direkt an der Sonntagsspazierstrecke des Orts und er erzählt immer gerne, wie sich die Kommunikation mit den vorbei spazierenden Ortsbewohnern abspielt. Es ist normalerweise Sonntag und daher kommen zunächst die Kirchgänger vorbei. Hans hat mit der Kirche nichts mehr am Hut, ist aber immer bemüht nicht zu sehr aus dem Rahmen zu fallen. Wenn die Vorbeigehenden leicht kritische Bemerkungen dazu machen, dass er im Garten arbeitet statt in die Messe zu gehen so benützt er abwechselnd die Standardsätze „der liebe Gott wird´s sicher verstehen“ oder „es ist ja dem Herrgott seine Natur“

Auf die Frage, ob ihm nichts davon im Hals stecken bleibt, meint er, dass er das im Lauf der Jahre schon so automatisiert habe, dass ihm gar nicht mehr auffällt, wie falsch das klingt. Außerdem meint er grinsend, dass auch in seinem abgelegenen Ort die Kirchgänger immer weniger werden.

Nach den Kirchgängern kommen die Spaziergänger. Das ist genauso wie in der Stadt, wenn man einander im Aufzug trifft. Da hält sich die Originalität der Bemerkungen, die man mit den Nachbarn austauscht auch sehr in Grenzen. Ebenso in dem kleinen Dorf im Waldviertel. Irgendetwas muss man unbedingt sagen, es wäre eventuell unhöflich einfach nur vorbeizugehen und so machen die Spaziergänger meist eine Bemerkung darüber, wie fleißig der Hans in seinem Garten arbeitet. Darauf sagt der Hans Sätze wie „es ist halt immer was zu tun“, „es muss halt sein“ „bei der Temperatur/dem Wind/der Trockenheit/dem Regen … geht´s ja nicht anders“.

Auf die Frage, warum er sich das antut und nicht zum Beispiel einen Zaun aufstellt, antwortet er, dass das völlig unmöglich wäre. Das Austauschen dieser leeren Phrasen führt dazu, dass alle Beteiligten das gute Gefühl haben, ihre sozialen Pflichten erledigt zu haben, er selbst auch. Man kann darüber lachen, ich tue es auch gerne, auch der Hans lacht darüber, aber es ist doch auch wahr, dass dieser Austausch von leeren Floskeln, je nachdem wie man selbst gerade drauf ist, ein gutes Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen kann. Und der Hans übertreibt wahrscheinlich etwas und es werden sich manchmal auch andere Gespräche ergeben.

Ich bin auch schon sehr gespannt, wie das in PB sein wird.

29 Gedanken zu “Montag 14. Februar 2022 – Von Phrasen und Floskeln

  1. Das kann ich komplett bestätigen: die kleinen Gespräche mit den Leuten, die am Garten vorübergehen, geben ein Gefühl von Geborgenheit im dörflichen Miteinander. Sogar, wenn der Oberkathole grimmig murmelt: “ Sündachs Arbeit gedeiht nich“, um meinen sonntäglichen Fleiß zu missbilligen. Er gehört eben auch zum Dorf.
    Im Winter, wenn niemand im Garten werkelt, vermisse ich die kleinen Plaudereien.

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  2. Die ritualisierten Begrüßungen sind ganz wichtig, ohne sie würde so mancher/manche völlig sprachlos durch den Tag gehen. Sie entlasten gerade deshalb, weil sie nichts wirklich Persönliches enthalten. Hier sind sie gang und gäbe, auch in den Großstädten.

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                1. Ein Kunde trat oft ins Büro und begann seine Aufwartung beim Kollegen meist so: „Was für ein schöner Tag das wieder ist, Herr XYZ“.
                  Mich nervte das massiv, weil es immer so kam, immer Hülsen.
                  Ich hatte derweil konzentriertest an Programmen herumzudoktern …

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  3. Da werden sich mit Sicherheit sehr viele unterschiedliche Gespräche ergeben. Von sozialen Geräuschen bis hin zu interessierten und interessanten Austäuschen. Beunruhigend wäre es nur, wenn das keiner täte 😉
    Morgenkaffeegrüße 😁🌦️☕🍪👍

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    1. „stieselig“ ist auch ein schönes Wort 🙂 Das Fehlen von Phrasen, die man gewöhnt ist, ist sicher auch ein seltsames Gefühl. Auf städtische Verhältnisse übertragen, wäre das dann, dass man im eigenen Haus im Aufzug steht und die Mitfahrenden keine Bemerkungen übers Wetter machen. Das wäre tatsächlich richtig ungemütlich …

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  4. Irgendwie musste ich lächeln, als ich Deine Beschreibung las. Sicherlich sind solche Zaungespräche Geschmackssache, aber so, wie Du es schreibst, stelle ich die Situation mir ziemlich heimelig vor. Jeden Sonntag – gerade durch die immergleichen Floskeln – die Gewissheit, dass sich die Erde noch dreht und alles irgendwie im Rahmen ist.

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