Alltag #5 – Kurzfristiger Alltag

Teil 5 von Ullis Alltagsprojekt

Derzeit unterscheidet sich mein Alltag in vieler Weise von meinem alltäglichen Alltag. Es gibt ja einen langfristigen, alltäglichen  Alltag und einen oder eigentlich sehr viele kurzfristige. Wir Menschen sind ja solche Gewohnheitstiere, dass vieles in kürzester Zeit zum Alltag wird.

Ein herausragendes Merkmal meines derzeitigen Alltags im Reha-Zentrum ist das ständige Umziehen und Umpacken. Rein in den Badeanzug, Handtuch und Bademantel mitgenommen, Vorsicht die schrittzählende Uhr ist nicht wasserdicht, ach und die Badeschlapfen angezogen und der Schlüssel muss auch irgendwo hin. Nachher wieder umziehen, Badeanzug in die Dusche gehängt, abgetrocknet, Schuhe umgezogen, auf zum Radfahren. Lesestoff mitgenommen, Schlüssel wird vorübergehend gegen Chip und Pulsmeßgerät für das Ergometer eingetauscht. Anschließend Strombehandlung, dafür muss man ein Leintuch mitbringen und ein Handtuch, oder auch nicht, je nach Therapeut*in. Nun zur Massage, der BH bleibt im Zimmer. Ist es der muskelbepackte Masseur oder ein/e andere/r ? Kann man sich nicht aussuchen, gut, sehe ich ein. Es kann ja nicht sein, dass ein Masseur nicht stark sein darf. Das Moor fehlt noch. Zu dieser Behandlung kommt man am besten im Bademantel mit maximal einem Höschen drunter, weil unweigerlich alles moorig wird.

Der Body-Builder-Masseur arbeitet auch gelegentlich bei den Moorpackungen. Er ist stark in Muskeln und schwach im zwischenmenschlichen Umgang. Oh, was haben Sie denn für eine lange Wunde am Bauch, sagt er doch glatt. Ich würde mich ja gerne in der Illusion wiegen, dass ich ihn so vernichtend angeschaut habe, dass er im Boden versunken ist, aber ich fürchte, er hat nicht einmal bemerkt wie irritiert ich war.

Zum Krafttraining muss man nur sich selbst mitbringen und eventuell ein Handtuch, muss aber nicht sein, weil ohnehin alles, was man angegriffen hat mit Feuchttüchern abgewischt werden muss. Physio- oder Ergotherapie ist in puncto Ausstattung unproblematisch, einfach Turnbekleidung, Mappe mit Beschreibung der bisher gemachten Übungen, das Leintuch, das Theraband

Zwischendurch in den Speisesaal, auf keinen Fall im Bademantel, alles andere geht durch. Es gibt hier auch Menschen mit höchst eigenartigem Outfit: Handtuch um die Hüften und ein T-Shirt drüber, ein Pyjama-Oberteil und eine kurze Hose, rosa Wuschelhausschuhe und der Rest in Pseudo-Raubtier enger anliegend als die eigene Haut.

Zwischen den Behandlungen und Aktivitäten gibt es immer wieder einmal den einen oder anderen Vortrag, von sehr unterschiedlicher Qualität. Einige scheinen nicht mehr zu wissen, als auf ihren Präsentationsfolien draufsteht, andere machen einen rundherum kompetenten Eindruck, reine Glückssache, wen man da erwischt.

Zum Spazierengehen muss man sich je nach Wetter winterlich einpacken oder frühlingshaft entblättern. Wenn nur die Wetterprognosen immer stimmen würden.

Alles in allem ist dieser bald zu Ende gehende Kurzzeit-Alltag durch sehr viel Bewegung gekennzeichnet

23 Gedanken zu “Alltag #5 – Kurzfristiger Alltag

  1. Bzgl. der Vorträge: Da kann ich auch ein Lied davon singen.
    Als ich vor 3 Jahren in einer Diabetesklinik war, gab es auch so manchen Vortrag, in dem ich dazwischengrätschte, eben, weil ich einiges wusste und deshalb hinterfragte. Mein Mitpatienten nahmen mir das krumm – ich sollte Ruhe halten. Daßsie so reagieren, das war mir klar und deshalb auch nicht schmerzlich. Doch empfand ich es als Pflicht, mich da zu äussern, wo ich Gesagtes nicht einfach hinnehmen wollte.

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    1. So schlimm ist es hier zum Glück nicht. Die Inhalte, die vermittelt werden, sind schon OK, nur manche Vortragende haben (noch?) nicht den Durchblick durch die Materie.
      Ich bin auch so eine lästige Fragestellerin, wenn mir etwas unklar oder unrichtig erscheint, ein Schrecken aller Reiseleiter und Vortragenden 🙂 Aber ich finde, man hat ganz eindeutig das Recht kompetent informiert zu werden.

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      1. Lieber Gerhard, liebe Myriade, als ich 2004 in einer psychosomatischen Klink war, fiel ich auch durch meine Fragen auf. Es gab einige, die dies zu schätzen wusste, anderen war ich lästig. Die Krönung war dann als ich dem einstigem Leiter widersprach, der galt nämlich als „heilig“, seine Reaktion war arrogant und Inkompetent. Das Lob von zwei Therapeut*innen im Nachhinein, bestärkten mich. Wer bin ich denn, dass ich ein Amen in der Kirche als Amen unhinterfragt annehme?! 😉

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  2. Ich finde es immer erstaunlich, wie schnell man in fast jeder Lebenslage einen Alltagstrott entwickelt.
    Es muss ein sehr tief sitzendes Bedürfnis sein.
    Auf dass dir dein Rehaalltag viel für den echten Alltag gebracht haben möge!
    Natalie

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  3. Liebe Myriade, danke für deinen vorübergehenden Alltagseinblick, der mir sehr deutlich zeigt worin du gerade steckst, mit allen Vorteilen und dem einem und anderem Stirnerunzeln – ja klar, der Masseur … mal abgesehen von den Outfits 🙂
    herzliche Grüße
    Ulli

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  4. Gar nicht so unanstregend, Dein REHA-Aufenthalt, liebe Myriade, doch Du nimmst ihn mit Humor, denn so ganz ohne, ehrlich, das würde nicht funktionieren 🙂

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  5. Meine Güte, ich denke, ich wäre völlig überfordert. Gut, dass ich aktuell keine Reha brauche und mein rechtes Knie Zuhause behandelt werden kann. Mit Schrecken erinnere ich mich noch an meine Reha in einer psychosomatischen Klinik vor ein paar Jahren! Das reinste Fließband.
    Allerdings wird es mich wohl beim zweiten Knie auch wieder treffen, dann komme ich nicht so glimpflich weg, weil wohl ein neues Gelenk eingebaut werden muss. Dann weiß ich ja jetzt, was auf mich zukommen mag. Ich muss schnell vorher noch die Reste meiner Angststörung loswerden. Ohne die ist so ein Programm besser zu bewältigen! Liebe Grüße und bald bist Du wohl durch, oder? Regine

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