Wenn die Netze wuchern – Impulswerkstatt

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„Wenn die Netze wuchern“ habe ich gerade bei Jürgen Küster gesehen und dieser Satz hat mich inspiriert.

Bei jedem Wetter flattern und kriechen die Netze über den Campus, sie wehen im Wind und quatschen im Schlamm. Viele Vorbeikommende versuchen ihnen zu entgehen, verrenken sich und flüchten, was selten gelingt. Manche Netze sind attraktiv, aus Seide und schimmernden Stoffen, in ungewöhnliche Falten gelegt und in Figuren geschwungen. Andere versuchen gar nicht zu verbergen wie wenig Atemfreiheit sie zulassen, wie eng sie schnüren werden. Es scheint nicht geplant, die Netze irgendwie wieder abstreifen zu können, wieder frei zu gehen, gar zu springen und zu fliegen.

Ich habe eine Technik entwickelt über Netze zu gehen ohne mich zu verfangen ohne auch nur hängen zu bleiben, aber manchmal packt mich die Lust mich hineinzuwerfen und die über mich hereinbrechenden Verschlingungen und Fesselungen zu genießen. Mich schlangenartig durchzuwinden und die alte Haut abzuschaben. Auch aus den Wolken hängen sie, aus dünnen Kunstfasern in leuchtenden Regenbogenfarben geflochten und erinnern mich an Mandarinen und Erdbeeren, süße, saftige Früchte, die auch in Gefangenschaft schmecken.

Aus dem Hörsaal gleiten Bänder, die sich wellen und kräuseln, ihre geometrischen Muster in Schleiern verflechten und sich blitzschnell um Knöchel und Handgelenke winden, wenn man nicht weiß wie und wohin man beiseite springen kann.

Meistens sind die Bänke der Hörsäle sicher, vor allem die vordersten wo ich gerne sitze um konzentriert Notizen machen zu können. Durch die Professorin, die gerade vorträgt, ziehen die Netze durch als wäre sie in einem gasförmigen Aggregatszustand. Obwohl es harte Materialien sind, die spurlos durch sie hindurchgehen: Jute, Sackleinen, Brennnesselgeflechte.

Ist es windig entsteht der angenehme Effekt, dass es draußen auf dem Campus große, freie Flächen gibt während die Netze an anderen Stellen wuchern und sich unkontrolliert vermehren. Über diejenigen, die dort vorbeikommen, fallen sie dann regelrecht her mit klebrigen Tentakeln und knüpfen ganz besondere Knoten um sie.

Es braucht eine Weile Training um die Geflechte überhaupt zu erkennen, ihre Konsistenz und Reißfähigkeit, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Materialien und wer sie wo und wozu ausgelegt hat.

Aber du bist zu mir gekommen, ohne dass ich Netze und Fallstricke hätte auswerfen müssen.

18 Gedanken zu “Wenn die Netze wuchern – Impulswerkstatt

  1. Ein beklemmendes Szenario ist dir hier gelungen. Du ziehst das Netz immer dichter um mich, so dass ich mich schnell selbst auf der Flucht fühle. Durch den friedvollen Schlusssatz bin ich wieder erlöst und dankbar dafür.
    Im Text Stimmungen aufzubauen liegt dir wirklich!

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    1. „Netzwerken“ als Verb ist auch so ein Wort, das ich nicht leiden kann. Wir hängen sicher alle in vielen Netzen, in solchen, die wir bemerken und in solchen, die wir nicht bemerken …

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  2. faszinierender Text! Auf die Verbindung zur Skulptur wäre ich von selbst nicht gekommen, ich hatte ein ganz anderes Bild vor Augen. In welcher Weise sind die beiden wohl verbunden? Darüber rätsele ich schon eine Weile.

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