71. Beitrag meiner Literatur- und Kunstweltreise Grönland 2 (Dänemark)

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Erica Ferencik

„Ein Lied vom Ende der Welt“

Goldmann Verlag : 2022

Ein spannendes Buch, das ich gerne gelesen habe, trotz etlicher logischer Fehler in der Handlung und für mich nur schwer nachvollziehbarer Entwicklung mancher Charaktere. Bei einem Thriller ist das nicht so schlimm, könnte man sagen. Aber ist es denn ein Thriller? Science Fiction? Fantasy? Einfach ein Roman mit Elementen aus verschiedenen Genres? Wahrscheinlich letzteres.

Sehr gut gefallen haben mir die Schilderungen von arktischen Landschaften, von Schnee, Eis und Stürmen. Deswegen wollte ich das Buch überhaupt lesen. Das Leben in der arktischen Forschungsstation, die Tauchgänge und Ausfahrten in diversen Schnee-Fahrzeugen. Die Forschungen, die dort von den insgesamt fünf erwachsenen Wissenschaftern betrieben werden, klingen interessant, sind aber bei näherer Betrachtung doch etwas seltsam. Ebenso seltsam fand ich, dass das achtjährige Inuitmädchen, das von den Forschern im Eis gefunden und aufgetaut wurde, einfach als weitere Bewohnerin der Station betrachtet wird. Man sollte auch meinen, dass die drei neu angekommenen Forscher sich mit allergrößter Neugierde über den Prozess des Auftauens informieren wollten, zumal alle Beteiligten ja überzeugt sind, dass das Auftauen eines eingefrorenen Lebewesens gar nicht möglich ist. Tun sie aber nicht.

Eine der neu hinzugekommenen Wissenschafter, die Protagonistin des Romans, ist die Schwester eines dort verstorbenen Ökologen. Ob es nun ein Mord oder ein Selbstmord war, ist eine ungeklärte Frage. Der Stationsleiter ist eine schwer durchschaubare Persönlichkeit ebenso wie seine Assistentin, die für alle praktischen Fragen des Lebens zuständig ist, vom Kochen bis zum Reparieren sämtlicher Gerätschaften und Fahrzeuge. Die Protagonistin wird zunächst als eine Frau mit einer schweren Angststörung beschrieben, die es nur mit Hilfe zahlreicher Medikamente schafft, überhaupt aus dem Haus zu gehen. Wäre es eine reale Person, würde ich sehr bewundern, dass sie trotz ihrer schweren psychischen Beeinträchtigung beschließt zu einer arktischen Forschungsstation zu reisen. Für eine Romanfigur kommt mir eine solche Entwicklung aber ein bisschen unwahrscheinlich vor.

Das Thema der Sprachentschlüsselung war für mich interessant. Die Protagonistin ist Linguistin und soll die Sprache des Mädchens aus dem Eis entschlüsseln. Ich habe keine Ahnung von Inuit-Sprachen und weiß auch nicht, ob die Autorin derartige Kenntnisse hat oder ob es sich um reine Erfindung handelt. Jedenfalls fand ich es faszinierend, dass das Mädchen jeden ihrer Sätze mit einem von sieben Wörtern einleitet, die wie sich herausstellte die Emotion der Sprecherin ausdrückten. Sie könnte also zum Beispiel sagen „Traurig. Ich will hinaus“.

Meine Erfahrung mit diesem Buch ist eine seltsame. Obwohl ich ständig auf Szenen stieß, die mir reichlich unwahrscheinlich vorkamen, hat mich das nicht weiter gestört. Die Ungereimtheiten liegen im Detail, aber insgesamt ist der Plot interessant und facettenreich. Erica Ferenciks Geschichte ist spannend und mitreißend erzählt. So habe ich den Roman sehr gerne und sehr schnell gelesen.

13 Gedanken zu “71. Beitrag meiner Literatur- und Kunstweltreise Grönland 2 (Dänemark)

  1. Du sprichst eine Thematik an, die mich, seitdem ich ernsthaft, also fokussiert lesen, stets umtreibt, die verschiedene Logik von Erlebnis und Bericht, was als Erlebnis glaubhaft erscheint, weil eine Person berichtet (ich ziehe trotz Angststörungen in die Arktis), wirkt als Bericht uferlos, da beliebig. Es scheint, dass dem Erlebnis eine Erfahrungsdichte bereitgestellt ist, die der Erzählfigur erst gegeben werden muss. Ich könnte jetzt endlos darüber schwafeln, aber ich fand die Beobachtung sehr gut und inspirierend. Die Engländer sagen: „Sometimes truth is stranger than fiction“ … mein Kopf raucht. Eine Arktisabkühlung könnte ich also gebrauchen. Ich setze mir das Buch mal auf die Liste 🙂 Vielen Dank und viele Grüße!

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    1. Die verschiedene Logik von Erlebnis und Bericht ist für mich ein Thema, das mir beim Lesen noch nicht allzu oft untergekommen ist. Aber ja, interessant, ob es als Stilmittel bewusst eingesetzt wird oder eine Schwäche ist …
      Dem „sometimes truth is stranger than fiction“ ist wenig hinzuzufügen 🙂 Liebe Grüße

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  2. Das hatte ich auch schon die ganze Zeit im Auge. DaAnke für den Bericht. Werde es aber eher nicht lesen nach deinen Erfahrungen. Vor allem das mein SUB noch sehr hoch ist.

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  3. Dein Lesebericht wirkt auf mich irritiert und fasziniert. Und fasziniert scheinst du nicht allein durch die Irritation zu sein, u.a. durch die Überlegungen in Zusammenhang mit der linguistischen Forschung. Diese Komponente hast du schon öfter bei Büchern hervorgehoben, und gerade diese sorgt auch bei mir für Resonanz.
    Neue Lektüre-Anregungen kommen aber zur Zeit nur auf eine Warteliste: der Stapel ungelesener Bücher ist mittlerweile zu vier Stapeln geworden, und die wackeln auch schon ein bisschen. Der Winter wird sie schrumpfen lassen.

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    1. Ja, du hast recht. Ich würde das Buch nicht als besonderen Höhepunkt der Literatur beschreiben, aber es hat mich beeindruckt. Vielleicht liegt das aber auch einfach an meinem Arktis-Spleen.
      Ich sehe dich zwischen schwankenden Buchstapeln wie du dich um eine Entscheidung bemühst, welches du zuerst lesen sollst 🙂

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      1. Erstaunlicher Einblick! Ich habe mir für den Rest des Jahres zwei Schwerpunkt gesetzt, da wird es einfacher: Afrikanische Literatur lesen/ Clemens J. Setz kennenlernen (da stecken auch deine linguistischen Interessen drin 😉).

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        1. Aha, das ist ein interessantes Ziel, von Setz habe ich noch gar nichts gelesen. Afrikanische Literatur dagegen habe ich schon eine ganze Menge gelesen und sie sehr vielfältig und großteils interessant gefunden …

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  4. Klingt auf jeden Fall sehr interessant. Wenn Du es schnell gelesen hast, deutet es ja auf eine packende Lektüre hin, auch wenn das eine oder andere Dir etwas seltsam schien.
    Ich überlege noch, ob ich es mir genehmigen sollte. Der Bücherstapel der Ungelesenen ist etwas niedriger geworden 🙂

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