Neben dem Portrait des deutschen Diktators und in gebührendem Abstand hing ein kleines ungerahmtes Ölgemälde, das einen Strand mit Uferböschung und Felsen im Abendlicht zeigte. Es war sehr ordentlich gemalt, besaß aber die Beliebigkeit von Bildern, die einem längst vergangenen Kunstgeschmack nacheifern und selbst in der gewinnendsten Ausführung unstimmig bleiben.
Ulrich Tukur „der Ursprung der Welt“ p.206
Bei der Formulierung dieses Gedankens, den ich an sich durchaus nachvollziehen kann, sind mir die Begriffe „Beliebigkeit“ und „unstimmig“ aufgefallen. Dass man ein realistisches Landschaftsbild schon seit längerer Zeit nicht mehr besonders schätzt, verstehe ich, aber dass es dadurch „beliebig“ wird, finde ich erstaunlich. Gemeint ist wahrscheinlich „beliebig“ im Sinn von „austauschbar“. Der persönliche Stil des Künstlers/der Künstlerin wäre also nicht mehr zu erkennen oder unbedeutend.
Ebenso geht es mir mit „unstimmig“. Es ist wohl hier als Synonym für „unpassend“ zu verstehen. In diesem speziellen Fall leuchtet mir das überhaupt nicht ein, denn im beschriebenen Raum hängt auch ein Hitler-Portrait. Über dessen Kunstgeschmack weiß man ja immerhin, dass er selbst auch Landschaften gemalt hat, die unglücklicherweise dem Akademie-Geschmack nicht entsprachen. Unglücklicherweise, weil besagter Diktator wäre er Künstler geworden, seine massenmörderischen Ideen vielleicht nicht in die Tat umgesetzt hätte. Dies nur nebenbei. „Unstimmig“ ist auch ein in höchstem Maß subjektiver Zustand. Betrachter*in A findet es scheußlich, dass zwischen den abstrakten Bildern eine Landschaft mit röhrendem Hirsch hängt, Betrachter*in B sieht darin eine faszinierende Mischung.
Mit ist diese Textstelle aufgefallen, weil es sich um ein Thema handelt, mit dem ich konfrontiert bin. Komme ich in unser Atelier sehe ich da die Portraits von Malfreund D. Technisch werden sie immer besser, ich kann damit aber trotzdem wenig anfangen. Sein Bestreben ist das, was Tukur „einem längst vergangenen Kunstgeschmack nacheifern“ nennt. Es geht ihm um die möglichst ähnliche Darstellung seiner Modelle. Ausdruck, der über die rein äußerliche Ähnlichkeit hinausgeht, ist ihm nicht wichtig.
Vor ein paar Tagen las ich etwas (Wo war das bloß? 🤔), dass die Kunstszene (oder waren es die Galeristen?) inzwischen allzu lange Düsteres, Distopisches und Destruktives in der Kunst als „gute Kunst“ bewertet hätte und dass es an der Zeit sei, dass Kunst auch wieder Freude machen dürfe.
Ich weiß nicht, ob es so stimmt, dazu verfolge ich die „Kunstszene“ zu wenig. Aber nachdenkenswert scheint es mir schon, ob manchen nicht allzu schnell der Stempel des Beliebigen aufgedrückt wird…?
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Jedenfalls ist das genau die Meinung, die mein Partner vertritt …
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Kunst ist auch Kunstfertigkeit, aber nicht nur. Wer sich Künstler nennen will, sollte zumindest vom Tradierten etwas abweichen – sofern er dieses kennt!
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Am besten ist es ja, wenn jemand sich nicht selbst Künstler nennt, sondern von anderen so genannt wird …
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Ich hatte ja mal einen Schüler von Beuys kennengelernt, der sich über meine Künstler-Anrede erboste: „Ich bin Bildhauer!“
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Naja ……
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Wieso naja?!
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Ich meinte: naja, wenn er selbst sich nicht Künstler nennen lassen will, ist das ja auch OK
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Nachahmung macht nur Sinn bei Photorealismus und da hat es eine besondere Note, weil nicht beliebig im Sujet.
Gegen Tukur habe ich seit einiger Zeit Argwohn. Seine zwei Vokablen sagen mir auch nicht zu.
unstimmig – einen etwas ratlos zurücklassen (was das soll).
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Es ist natürlich ein schwieriges Thema, das auch mit dem individuellen Geschmack zu tun hat, trotzdem …
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Schwierig ist es schon, aber es lohnt in der Breite diskutiert zu werden…
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Pass nur auf, dass du Kunstfreund D nicht entmutigst – nicht dass er am Ende beschließt, Politiker zu werden. 😉
Ich finde deine Fragen an den Text sehr berechtigt: Was heißt schon „beliebig“, was „unstimmig“? Warum sagt Tukur nicht schlicht und einfach, dass, hätte er darüber zu bestimmen gehabt, dem Hitler auch den Zutritt zur Akademie verwehrt hätte, weil das, was der machte, für ihn,Tukur, keine zeitgemäße Kunst war.
Ich würde ihm dann widersprechen und sagen: Wer mit dem Kunststudium beginnt, ist ja noch kein fertiger Künstler, sondern möchte es erst werden. Es käme dann auf den Unterricht an, ob er imstande ist, das Künstlerische hervorzulocken und zu verstärken. Hitler war sehr willensstark, wer weiß, was ein guter Unterricht aus ihm hätte hervorlocken können. Leider sind das nun müßige Fragen. Als Allgemeines bleibt: Kümmern wir uns beizeiten um unsere jungen Mitmenschen, damit sich ihre Talente friedlich entfalten können und sie nicht entweder an Kriegsfronten zerrieben werden (wie Hitlers Generation), zu Ungeheuern heranwachsen (wie dieser selbst) oder auch einfach verkümmern.
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Nach dem Vorbild von Adolf H. „dann beschloss ich, Politiker zu werden.“ ? Die Gefahr besteht zum Glück nicht. D ist ein lupenreiner Demokrat und Humanist 🙂
Ja, das friedliche Entfalten von Talenten zu fördern und dabei hin und wieder auch Erfolg zu haben, ist die schönste Seite des Lehrberufs.
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„Lupenrein“ ist ein interessantes Wort….
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Oh, ein österreichisches Wort ? Heißt jedenfalls, dass etwas so ist wie es scheint auch wenn man mit der Lupe hinsieht
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Man sagt es auch im deutschen Sprachraum. Mir fiel es auf, besonders im Zusammenhang mit der Gesinnung eines Menschen.
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Ich mag es gerne …
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