Zwei sehr unterschiedliche Bücher, jedes auf seine Art sehr gut habe ich in den letzten Tagen gelesen. Ein drittes ist noch ausständig, vom heurigen Nobelpreisträger. Nachdem ich aber in den letzten Tagen alles andere als fit war, habe ich auch eine uralte Agatha Christie gelesen. Den F habe ich auf eine Leiter gehetzt um ein bestimmtes Buch aus der hinteren Reihe auf einem obersten Regalbrett herunterzuholen. Wie gesagt, Agatha Christie, eines ihrer besten. „Zehn kleine Negerlein“ hieß es ursprünglich als es 1939 herauskam. Ich habe eine auf „Letztes Weekend“ umbenannte Ausgabe. Sehr viel anderes konnte man nicht umändern, weil die ganze Handlung auf dem Gedicht oder Lied von den zehn kleinen Negerlein, die eines nach dem anderen sterben, aufgebaut ist.
Es war interessant, ein prä-politisch-korrektes Buch zu lesen. Obwohl ich manches an „politisch Korrektem“, zumindest im nicht-amerikanischen Kontext, etwas übertrieben finde, haben mich aber manche Ausdrücke und die dahinter stehenden Konzepte in diesem Buch durchaus schockiert. Der Ort der Handlung ist die „Negerinsel“ irgendwo vor Devon liegend, die ihren Namen daher hat, dass sie die Form eines Negerkopfes mit wulstigen Lippen hat. Nun gut. Sehr viel schlimmer fand ich, dass ein „Japse“ beschrieben wurde mit einem „hinterhältigen mongolischen Lächeln“. Das British Empire oder zumindest noch das Commonwealth sind unumstößliche Tatsachen, deren ewige Dauer nicht in Frage gestellt wird. Beispielsweise wird darüber diskutiert, welche Qualitäten jemand als Kolonist in Südafrika haben muss.
Fast alle Personen stammen aus einer mittlerweile so gut wie ausgestorbenen Welt. Die vielen Militärs, die „Militärgattinen“ und die „alten Jungfern“. Sie sollten teilweise schon 1939 als extrem konservative Figuren gelten. Agatha Christie ist nun keine Lektüre, in der man irgendwelche Identifikationsfiguren finden könnte oder irgendwelche literarischen Highlights, aber als anspruchsloser Zeitvertreib war es so schlecht nicht. Auch ein sehr eigenes Leseerlebnis mit Graupelsturm vor dem Fenster…
Ich have ein ähnliches Erlebnis mit den Büchern von Karl May!
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Ich auch. Gut, dass man älter und klüger wird und die Texte irgendwann richtig einsortieren kann. Mit Hintergrundwissen kann man sie sogar trotzdem nochmals lesen, sie bekommen dann eine zweite, hochinteressante Metaebene.
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Die Metaebene ist spannend und auch die Reaktionen des eigenen, jüngeren Ichs, das schließlich auch mitliest.
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Das wäre dann die zweite Meta-Metaebene. 😁
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Die müssen uns heute diesbezüglich auch überaus heftig vorkommen. Damals war das aber eine ganz normale Sprache.
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Ja, ich auch! Vor einer Weile habe ich irgendwo in einem lange nicht beachteten Schrankfach nebst einiger uralter Schulbücher ein ziemlich abgegriffenes, ebenfalls sehr betagtes Taschenbuch von Winnetou I gefunden, und darin zu stöbern begonnen. Und mich nach einigen Seiten schon ganz entsetzt gefragt, wie es sein konnte, dass mich Karl Mays Bücher als Kind so fasziniert hatten…
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Ich habe letztens eine Menge Verfilmungen von A Christies Roman gesehen, darunter auch diesen. Mein Eindruck war, dass sie (oder die Regisseure) diese Welt des kolonialen England mit seinem
selbstverliebten, feiersüchtigen, arroganten und oftmals hysterischen und mörderischem Personal ironisch beleuchtet. Ihre Personen sind Menschen mit eleganter Etikette und verächtlichem Verhalten , gegen alles, was nicht zu ihren Kreisen gehört. denn so war die herrschende Klasse (und ist es wohl bis heute, wenn auch nicht mehr so offen). Insofern sind diese Romane durchaus zeitkritische Dokumente. Dass man sich schwerlich mit einer dieser Personen identifiziert, ist insofern folgerichtig.
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Ich glaube, dass die ironische Note ziemlich ausschließlich oder doch zumindest in sehr großen Teilen von den Filmregisseuren kommt, in den Büchern sieht das anders aus. Es gibt wohl hin und wieder eine Figur, die etwas lächerlich gezeichnet wird, aber nicht wegen ihrer typischen „britisches-Weltreich-Eigenschaften“. Agatha Christie wurde 1890 geboren und war – wie wir alle – ein Kind ihrer Zeit.
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Agatha Christie hab ich mal eben bei Wikipedia nachgeschlagen: war selber die Frau eines Offiziers
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Später wurde die Ehe geschieden und sie hat dan 2 Jahre nach der Scheidung im Jahr 19 30 einen 14 Jahre jüngeren Mann geheiratet.
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Mutige Frau, einen jüngeren Mann zu heiraten und gar einen um so viel jüngeren war zu ihrer Zeit extrem mutig. Das muss der Archäologe gewesen sein, den sie zu Ausgrabungen im Nahen Osten begleitet hat
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Wikipedia sagte ja. Sie hat ihn nach ihrer Scheidung bei einer Ausgrabung, die sie sich zeigen ließ, kennen gelernt. Er musste sie ein paar Tage herum führen und ihr die Ausgrabung erklären.
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Der zweite Mann war sicher interessanter als der erste 😎
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Ganz bestimmt!
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Ich finde, man merkt welche Veränderung die Sprache durchlaufen hat und weiter durchläuft. Mir geht es oft so, dass ich beim Lesen denke-man geht ja gar nicht.
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Die Frage ist wo und wo nicht die rassistischen Konzepte dahinter stecken, die heute vermutet werden.
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Ähnliches habe ich bei erneuter Lektüre von Jugendbüchern auch erlebt. Abgesehen von zeittypischen Ausdrucksgewohnheiten handelt es sich nach meiner Meinung überwiegend um Gedankenlosigkeit. Das ändert aber nichts daran, wie entlarvend solcher Sprachgebrauch bezüglich der Grundannahmen einer Epoche oder einer Klasse waren und sind.
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Absolut. Ich habe mich auch über mich selbst gewundert, weil ich ja immer wieder über die Exzesse „politischer Korrektheit“ schimpfte, aber bei „hinterhältiger mongolischer Blick“ wird mir schon anders …
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Anders aber ähnlich ging es mir als meine Nichten und Neffen klein waren und ich alte Kinderbücher las. Abgesehen von den nicht mehr verwendeten Worten auch die Stellung der Frau. Interessant, aber auch in der heutigen Zeit nur schwer zu überlesen und zu ignorieren. Besonders Rollenverteilung und ähnliches.
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Das ist auch ein Punkt, ja. Bei Agatha Christie kommen aber sehr viele kluge, starke, erfolgreiche Frauen vor.. Sie war selbst ihrer Zeit um einiges voraus. Aber im großen und ganzen ist das Thema zum Gruseln.
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