Baby-Frau – Impulswerkstatt

„Jetzt habe ich zwei süße, kleine Mädchen“ hatte er gesagt, als ihm die Hebamme die neugeborene Tochter in den Arm legte. Die ganze Geburtsstation war begeistert von ihm und schwärmte in den höchsten Tönen davon, was für ein lieber Papa er sein werde.

Sie selbst wollte das auch so sehen. Sie wollte auch jenen Tag vergessen in den ersten Wochen der Schwangerschaft als das Geschlecht des Embryos noch nicht bekannt war. „Wenn es ein Bub ist, geben wir ihn zur Adoption frei“ hatte er gesagt. Lachend hatte er es gesagt und sie verstand selbst nicht, warum ihr dieser Satz nicht aus dem Kopf gegangen war und auch jetzt wieder einfiel, als die Ärztin, die Hebamme, die Pflegerinnen ihren Mann mit dem Baby im Arm umschwärmten. Noch weniger verstand sie, warum sie ihm das Kind wegreißen wollte, davonlaufen … Sie schob es auf Hormonschwankungen, einen möglichen Post-Partum-Wahn, alles mögliche.

In den ersten Wochen zuhause mit dem Baby lief alles gut. Man hätte sich keinen fürsorglicheren Partner und Vater vorstellen können. Er hatte sich den möglichen Papa-Monat genommen und noch einen weiteren Monat unbezahlten Urlaub und war Tag und Nacht verfügbar.

Das Babygewand, hauptsächlich in rosa, stapelte sich in der gesamten Wohnung. „Man könnte glauben, er hätte eine Kette Babymodengeschäfte ausgeraubt“ sagte sie zu einer Freundin. „Warum so negativ?“ meinte die Freundin sehr erstaunt. „Magst du die Sachen nicht? „Doch, doch“ sagte sie „ich weiß auch nicht, warum ich so komisch bin. Er ist ja eigentlich in jeder Hinsicht perfekt“ sagte sie und brach in Tränen aus.

Die Freundin, alleinerziehende Mutter von zweijährigen Zwillingen zeigte sich nicht sehr verständnisvoll zumal der reizende Papa gerade nachhause kam, seine Frau in den Arm nahm und tröstete und die Freundin mit so viel Charme übersprühte, dass sie durch die Wohnungstür hinausgespült wurde. „Brauchen wir solche Leute?“ fragte er, nur ganz, ganz leise vorwurfsvoll.

Als das Kind vier Monate alt war, kam er eines Tages mit einem großen Paket und schwärmte, dass er den allercoolsten Versand für nicht nur Babykleidung entdeckt habe.“ Du wirst sehen, so was Süßes hast du noch nicht gesehen“. Teil Nummer eins war ein Päckchen in rosa mit einem wirklich reizenden Strampler mit Häschenmotiven. Dann kam Teil Nummer 2. Sie lachte darüber und bemerkte seinen leicht besorgten Blick nicht. In dem Paket war ein Hängekleidchen mit dem gleichen rosa Hasen-Motiv wie auf dem Strampler. Es war aber kein Babykleid sondern ganz eindeutig in ihrer Größe. “ Baby-Mama heißt die Firma“ schwärmte er und sie bemerkte eine leichte Anspannung. „Probier es doch gleich einmal.“ „Lustig, sagte sie wenig begeistert.“ Übrigens gehe ich morgen zum Friseur und lasse mir wieder einmal eine Frisur mache“: „Wieso denn das? Deine Zopferl passen doch zu einer jungen Mama.“ „Eher zu einem Baby“ antwortete sie und damit begannen die Probleme.

Wie klingen Alarmglocken in einem rosaroten Biedermeierhaushalt? Eher gedämpft oder besonders schrill? Kann es mit dem perfekten Ehemann zu tun haben, wenn Famillie und Freundinnen plötzlich wegbleiben? Warum weint das Kind immer beim Wickeln?

Ihre von ihm ausgesuchte Kleidung täuschte, sie war kein verschrecktes Häschen. Als er eines Tages nachhause kam, fand er das Vorzimmer voller Koffer und Taschen und seine vermeintlich gut dressierte Kind-Frau mitten im Aufbruch. Ihre beiden Cousins verluden ihr Gepäck, das Baby befand sich in der Obhut seiner Großmutter. Es war sehr schwer gewesen, alles zu erzählen, aber sobald sie diesen Schritt geschafft hatte, kam alles wie von selbst ins Rollen.

„Wir sehen uns vor Gericht“ sagte sie eisig und schaute ihrem perfekten Mann in die Augen. „mach dir keine Hoffnungen, der Kinderarzt hat alles dokumentiert und sagt aus. “ Sie drückte ihm einen Zettel in die Hand. „Dort wird solchen wie dir geholfen, wenn sie das denn wollen“

Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. Auf der Strasse hörte man das Baby fröhlich blubbern.

30 Gedanken zu “Baby-Frau – Impulswerkstatt

  1. Ich bin begeistert – weniger von dem, was dahinter steckt – als mehr von deinem Schreibstil
    Bloß gut, dass ich meine Mädchenschwangerschaft ohne solche Nebenwirkungen erlebt habe. Und der Junge war auch unproblematisch.

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  2. Uiuiui. Brrrr. Sehr gruselig, da braucht es überhaupt keine genauen Angaben, das, was man im Kopf ergänzt, ist genauso sprechend. Vielen Dank für das Ende! Ein schlimmes Ende inmitten von so viel Rosa hätte ich nur schlecht ertragen.

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  3. Aber das Kind! „Warum weint das Kind immer beim Wickeln!?“ DAS trifft mich.
    Und ob man „solchen wie ihm“ helfen kann, bin ich nicht sicher … Auf jeden Fall freue ich mich, dass du sie hast sich befreien lassen! 😁🧡👍
    Nachtgrüße 😁✨☁️🍷🍪👍

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        1. Doch, das glaube ich durchaus. Schließlich sucht sich niemand seine sexuellen Vorlieben aus und pädophilie ist die einzige, die man nicht ausleben darf oder auch will . Soviel ich weiß gibt es an der berliner Charite ein Programm, das großen Zulauf hat.

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    1. Ich hatte zuerst mögliche Szenen, die ihr immer mehr zu denken geben. Eine habe ich aussortiert: sie wäre dann in einem solchen Kinderoutfit zu einem offiziellen Anlass gegangen. Aber das hätte sie zu naiv dargestellt und das wollte ich nicht.

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      1. Solche Möglichkeiten, sie in der Kindchenrolle auch stärker zu zeigen, würden alles zu schrill gestalten. Wie du es letztlich entschieden hast, bleibt alles schön lange in der Schwebe.

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