Die nicht sterben

Wenn ein Buch ein Bestseller ist, heißt das ja noch lange nicht, dass es gut ist. Mir fallen spontan ein paar Beispiele ein. Aber es muss ja andersherum auch nicht jeder Bestseller schlecht sein. Diesen Roman von Dana Grigorcea finde ich jedenfalls großartig

Ein kleiner Lebenslauf der Autorin, die auch etliche Preise sowohl für ihre literarische als auch für ihre journalistische Arbeit gewonnen hat.

Dieses Buch hat mich gefesselt. Zunächst einmal wegen der dichten Atmosphäre, die erzeugt wird. Die Villa der Tante der Erzählerin ist alter Familienbesitz in Transsylvanien bzw der Walachei, der vorübergehend vom Ceaușescu-Regime konfisziert und danach wieder zurückgegeben wurde mit den Überbleibseln der Einrichtung aus der Zeit als die Villa von der kommunistischen Nomenclatura als Jagdhaus verwendet wurde. Die Beschreibung dieser Villa und des Ortes B. erzeugt schon diese dichte Atmosphäre aus Luxus, Dekadenz, Armut, Korruption, einem Schuss Mythos, einer Prise Erotik und einem Gerüst aus Geschichte der Region.

Der historische Vlad III. Drăculea (ca 1431 -1477) , bekannt als „der Pfähler“ oder einfach „Dracula“ wird – wenn man der Autorin glauben darf – in der Region als positive Figur wahrgenommen. Der Vers des rumänischen Nationaldichters Mihai Eminescu (1850 – 1889) :

„Ach, Pfähler! Herrscher! Kämst du doch,
Mit harter Hand zu richten“ (S 106)

würde immer öfter wieder zitiert, weil die Verhältnisse im Land auch in der Gegenwart von Korruption geprägt wären.

„In meiner KIndheit sprach man in Rumänien nur von einem ganz bestimmten Graf Dracula – und das war der das Volk aussaugende Diktator Ceaușescu“ S34

Das Buch ist sehr geschickt geschrieben. Der Mythos von Vlad, dem Pfähler, und die Hinterlassenschaft der kommunistischen Zeit unter Ceauscescu vermischen sich. Die Autorin spielt mit Signalwörtern, mit Erwähnung von Aberglauben und Symbolen und weist damit in Richtung Vampirgeschichte ohne das Wort auch nur zu erwähnen. Bis zum Ende weiß man nicht, ob die Ich-Erzählerin nun zum Vampir geworden ist, oder ob sie sich alles nur einbildet. Es ist auch ein sehr geschicktes Element, dass die Ich-Erzählerin sich direkt an die Leser*innen wendet. Trockene Erzählung und wahnwitzige Schilderungen von vampirischen Elementen gehen ineinander über.

Die Geschichte der jungen Künstlerin, die schon ihr ganzes Leben in der Villa ihrer Tante in B. ihre Ferien verbringt und sich und ihre Familie als Teil der Region begreift, vermischt mit der Geschichte der Zeit des Pfählers, dem Ceaușescu-Regime und der aktuellen Verhältnisse in Rumänien und schließlich die sich daraus entwickelnde Vampir-Geschichte, von der man aber nie erfährt ob sie sich nun tatsächlich zugetragen haben soll oder nur ein Phantasieprodukt der Erzählerin ist.
Mit der Vampirgeschichte baut Dana Grigorcea eine Menge geschichtlicher Information über die Region und über den historischen Dracula ein. Etwa, dass dieser als Kind von seinem Vater, dem damaligen Fürsten der Walachei als Geisel am Hof des osmanischen Sultans gelassen wurde, weil die Walachei zwischen Ungarn und dem osmanischen Reich eingezwängt war und ihre Loyalität nach allen Seiten beweisen wollte.

Der Fürst tritt nur einmal auf. Die Autorin lässt ihn althochdeutsch sprechen, was ich auch sehr gelungen finde. “ Wir sin gelîchen bluotes “ S151 lässt sie ihn zu der Erzählerin sagen.

Ein ziemlich irrwitziges Buch, das man wahrscheinlich nur lieben oder hassen kann und das keinem Genre zuordenbar ist. Mir hat es sehr gut gefallen.

18 Gedanken zu “Die nicht sterben

  1. „Irrwitzig“ klingt gut, und aus der Region kenne ich eh zu wenig. Sollte ich drüber stolpern (in den Bücherhallen, wo man wieder verweilen darf, wo sonst), lese ich rein und berichte dir. 👍
    Nachmittagskaffeegrüße 😁🌞🌼🦋🐝☕🍩👍

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          1. Wirf mal „Hilary Mantel“ und „Cromwell“ in die Suchmaschine. Ich lese gerade das erste Buch, „Wölfe“, das zweite ist schon auf dem Weg zu mir.
            Anspruchsvoll und sperrig. Schockierend. Unglaublich gut.

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                1. Aha, Thomas Cromwell, der 1. Earl of Essex (1485 bis 1540)
                  Oliver Cromwell (1599- 1658)
                  Es wird mir gut tun, über die Zeit wieder einmal zu lesen 😉
                  Die Etüde ist übrigens fertig und trifft morgen Früh auf Pings Flügeln bei dir ein 🙂

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    1. Es verdient unbedingt auf die Liste genommen zu werden. Ich habe es verschlungen, aber es ist natürlich individuell sehr verschieden, was man gerne liest.

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  2. Eine irrwitzige Geschichte? Aus einer Gegend, die ich mit Geheimnissen verbinde und ziemlich geheimnisvoll klingt, was ich von Dir dazu lese. Mal sehen, vielleicht komme ich zufällig daran vorbei.
    Ach, gäbe es doch schon wieder Flohmärkte… *seufz*

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