X kommt hier zweimal vor: als Arbeitstitel des Projekts und als Platzhalter für den Namen der männlichen Hauptfigur, den ich mir noch überlegen muss. Die geplanten Schauplätze der Handlung sind Orte, die ich kenne, die meisten davon sogar ziemlich gut. Es handelt sich wohlgemerkt um work in progress.
Wenige Tage nach dem Begräbnis begab ich mich auf den Weg X besser kennenzulernen und über diesen schmerzhaften Umweg auch mich selbst.
Ich war zu seinem Begräbnis angereist und wohnte bei seiner Tante, einer sehr resoluten, alten Dame, die mich ins Herz geschlossen hatte und mir gegenüber seiner restlichen Familie immer die Stange hielt. Tía Arlette wurde sie von allen genannt. Sie war Tante, Großtante und sogar Urgroßtante und hielt die Familie mit eiserner Hand zusammen. Ungewöhnlich für ihre Generation hatte sie nie geheiratet. Die Familienlegende erzählte, ihre große Liebe wäre ein Doktor Soundso gewesen, aber niemand wusste, warum die beiden nicht geheiratet hatten. Ich halte diese Geschichte für reine Erfindung. Arlette war eine kluge Frau und wahrscheinlich nicht bereit, sich in die totale Abhängigkeit zu einem Mann zu begeben, wie das in ihrer Jugend in einer Ehe üblich und gerne gesehen war. Allerdings wurde sie dem weiblichen Rollenbild in der portugiesischen christlich-konservativen Diktatur in den 1940er und 50er Jahren insofern gerecht, als sie zuerst ihre Eltern pflegte, dann ihre älteste Schwester und schließlich eine weitere ihrer drei Schwestern bis zu deren Tod.
Am Tag nach X Begräbnis saßen wir in ihrem Esszimmer zwischen wahrscheinlich handgeschnitzten Holzmöbeln und recht düsteren Landschaftsbildern. Tía Arlete brachte eine große Plastikbox herein und stellte sie auf den Tisch. Auf das filigran bestickte Tischtuch zwischen die silbernen Leuchter. Das Esszimmer war nur für besondere Gelegenheiten gedacht, an normalen Tagen aß man in der Küche. Die Tatsache, dass wir also im Esszimmer saßen, gab der Übergabe der Plastikbox eine gewisse feierliche Note. In dieser Box sagte die Tante hätte X persönliche Dinge verwahrt.
X war theoretisch von seiner in Spanien lebenden Frau getrennt und lebte entweder in Wien oder in Lissabon bei seiner Tante. Er war wohl auch des öfteren in Spanien anzutreffen, ganz sicher nachdem wir uns getrennt hatten, höchstwahrscheinlich auch vorher. Klare Verhältnisse strebte er nie an.
Ich zögerte, die Box entgegenzunehmen. Es war mir klar, dass sie mir kaum Angenehmes berichten würde. Wenn mein verstorbener Liebhaber diese Box bei seiner Tante aufbewahrte, also ein paar tausend Kilometer außerhalb meiner Reichweite, so würde das seine Gründe haben.
16.5.20
Zulassen!
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??
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Die Box zulassen, dann kann die Phantasie weiter damit spielen und wird nicht erdrückt vom Faktischen.
Aufmachen geht natürlich auch.
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Da hast du mich auf eine Idee gebracht. Vielen Dank !
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Ich halte mich von Prosa-Schreibprojekten meist fern, aber dieser Text hat mich – wie auch immer – gleich gefangen und macht Lust auf mehr.
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Oh, das freut mich sehr. Danke fürs Lesen. Es ist ein etwas gewagtes Projekt, weder habe ich mehr als eine sehr vage Vorstellung wohin es gehen soll, noch kann ich sagen wie viel Zeit und Lust und Inspiration ich haben werde, aber ich versuche es einmal. Nach dem guten alten Prinzip „mehr als schiefgehen kann es ja nicht“
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Sonst wirst du dich immer fragen. Was wäre wenn.
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Das ist sehr wahr, das frage ich mich schon lange …
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Mutig, das öffentlich zu machen.
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Mehr als schiefgehen kann es ja nicht und vielleicht motiviert oder inspiriert mich, dass der Text so mitten im Raum entsteht oder auch nicht entsteht …
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Ich wünsch dir Gelingen – schon aus Eigennutz, wegen des Lesens, und ein bisschen, weil ich immer mal wieder denke, ich möchte es vielleicht doch auch mal wieder mit Prosa versuchen, obwohl ich das eigentlich abgehakt hatte.
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Das verstehe ich sehr gut. Ob es „abgehakt“ überhaupt gibt ? Ich bin jedenfalls derzeit sehr verlockt und habe auch eine Idee, wie ich verschiedenste Ansätze unterbringen könnte. Aber der Text ist noch ein Baby und ob es jemals groß oder zumindest größer wird, ist nicht gewiss ….
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Solange die Gedanken doch immer wieder schüchtern um die Ecke linsen, ist es wohl ein Stück Selbstbetrug, von abhaken zu sorechen 😊.
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Auch mir geht’s so.
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Auch dir danke fürs Lesen! Ich bin selbst schon sehr gespannt wohin die Reise gehen wird. Ich habe eine ziemlich vage Idee für ein Gerüst mit Hilfe dessen dieser Text entstehen soll. Aber gerade hat mich zB ein Kommentar auf eine Idee gebracht, die das Gerüst deutlich verändert. Ich glaube es wird für mich sehr spannend werden !
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