49. Station der Literaturweltreise – Dänemark (Grönland)

Die Weltreise: Stationen 1 bis 48 

Es ist ein Buch über Eis und Schnee, über große Kälte, über den hohen Norden und die Polarnacht, über die Kultur der Inuit, den Entdeckerdrang und die Weltausstellung in Chicago 1893. Es ist auch ein Buch über das Ende der Erde, über futuristische Gentechnologie und die letzten Menschen. Eine ungewöhnliche Familiengeschichte wird aufgerollt und aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Zeiten erzählt, wobei die genauen Zusammenhänge nicht völlig klar werden.

Es ist ein großartiges Buch. Ich habe es gleich zweimal gelesen und kann gar nicht sagen, was mir am besten gefallen hat. Die Schilderungen des hohen Nordens, des Eises und der Kälte oder jene der Arbeitsweise der Schamanen, Sprache und Schriftzeichen der Inuit, das Eintauchen in das Schiff einer Polarexpedition oder doch der Teil der Geschichte, der auf einem Eisplaneten spielt auf dem das letzte Raumschiff der Menschheit gestrandet ist und der von der Hauptprotagonistin „Winterthur“ genannt wird.

Der rote Faden der Handlung ist die Geschichte von Elaine Duval, einer Genetikerin, die eine herausragende Erfindung gemacht hat und auf dem Raumschiff reist, das die letzten überlebenden Menschen beherbergt und zu einer neuen Heimat bringen soll. Es ist auch die Geschichte des Lebens mit ihrem Großvater, dessen Mutter eine Inuit war, und der zurück nach Grönland zog, wo er seiner Enkelin die Kultur der Inuit näher brachte.

Die Handlung zieht sich durch verschiedene Zeitebenen: die Gegenwart auf Winterthur, wo Elaine der letzte überlebende Mensch zu sein scheint, ihre Kindheit und Jugend mit dem Großvater in Grönland und in der Schweiz, die Zeit der Weltausstellung in Chicago,die Elaines Urgroßmutter als junge Frau in Begleitung eines norwegischen Polarforschers erlebt, dessen berühmten Namen man erst am Ende erfährt. Die Urgroßmutter kehrt nach Abenteuern nach Grönland zurück und wird zu einer Schamanin ihres Volks. Wer der Vater von Elaines Großvater ist, erfährt man nicht, ebensowenig wie wir irgendetwas über Elaines Großmutter erfahren. Das kann man als Schwäche des Romans sehen, aber auch als Stärke: es erzeugt den Wunsch diesen Nebel zu durchdringen und den Text ganz genau zu lesen um keinen Hinweis zu übersehen.

Die sprachlichen Übergänge durch Zeit und Raum, die Assoziationsketten, den Wechsel der Zeiten und Perspektiven finde ich meisterhaft gelöst.  Obendrein lebt der Autor in Wien und schreibt somit eine Sprache, in der ich mich absolut zuhause fühle.

 

 

28 Gedanken zu “49. Station der Literaturweltreise – Dänemark (Grönland)

  1. Eine überzeugend positive Rezension! Sie weckt in mir den Wunsch, das Buch auch zu lesen. Und kommt meinem Wunsch entgegen, mehr und bewusster Literatur in österreichischem Deutsch zu lesen (ich habe lange gebraucht zu verstehen, dass auch literarisch gesehen Deutsch und Österreichisch verschieden sind).

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    1. Oft hängt dieses Sich-zuhause-Fühlen in einer Sprache von lexikalischen Winzigkeiten ab. Ich zum Beispiel bin immer irritiert vom in D üblichen Gebrauch von „laufen“. „Sie liefen den Berg hinauf“ ich sehe Leute, die einen Berg hinaufrennen. Es wird beschrieben, dass jemand sehr schlecht gehen kann und dann folgt „er lief die Straße hinunter“. Natürlich weiß ich, dass „laufen“ in meiner Alltagssprache „gehen“ heißt. Trotzdem entstehen falsche Bilder im Kopf …

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        1. Aha, darauf wäre ich nie gekommen. Ich hätte gedacht, dass es zB irritiert, dass man in Ö kaum jemals Beine sagt, sondern Füße, die reichen bis zur Hüfte. 🙂 Zum Thema Präpositionen könnte ich „auf Arbeit“ beisteuern, was es in Ö überhaupt nicht gibt, weswegen ich auch nicht beurteilen kann, wie umgangsprachlich das ist …

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          1. „auf Arbeit“ würde ich als Soziolekt einstufen, gehört jedenfalls nicht zur „gepflegten“ Umgangssprache.
            Die überlangen österreichischen Füße sind mir bisher noch gar nicht begegnet 😀.

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        2. Ich bin, als Österreicher, verwirrt ob dieser Zuweisung. Niemand hierzulande schreibt „Ich lege meine Brille am Tisch“ wenn gemeint ist, daß die Brille auf den Tisch gelegt wird. Zu Tisch oder am Tisch zu sitzen, zB beim Essen ist durchaus so gemeint und meint nicht, auf ihm zu sitzen.
          Im Dialekt mag es anders zugehen. Doch selbst dabei wird häufig „I leg‘ mei Brün aufn Diesch…“ und weniger oft von „aum Diesch“ geschrieben oder gesprochen.

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          1. Aha. Die Fälle, auf die ich mich bezog, meinten auch nicht die Beschreibung einer Bewegung im Akkusativ, sondern die Lagebezeichnung mit dem Dativ, also dass die Brille „am Tisch“ liegt. Ob es sich dabei um „Dialekt“ handelt, kannst du beurteilen, ich kann es nicht.
            Am Tisch zu sitzen ist in Deutschland ebenfalls üblich, zum Glück sind die Sitten inzwischen so weit verfeinert.

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            1. Ob in Bewegung oder statisch – ich kenne kein Beispiel eines österreichischen Autors, der hier irrt. Die von dir gebrachten Beispiele der Verwendung von Akkusativ und Dativ haben unterschiedliche Bedeutungen, auch in Österreich, dies wollte ich zum Ausdruck bringen. Der Dialekt meint unter Umständen das Gleiche, auch wenn er einen falschen Kasus verwendet. Deshalb führte ich meine Beispiel an, kausal das eine Mal richtig und einmal falsch verwendet.

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            2. Ja, der Olpo hat sich auf die Bewegung bezogen. Was die Lagebezeichnung betrifft, hast du völlig recht. Wenn wir „am Tisch“ sitzen, dann machen wir den Tellern und der Tischdeko den Platz streitig. Gelegentlich sitzen wir auch „beim Tisch“. Das ist aber nicht ganz so gemütlich 🙂

              Interessant: bei den Füßen zb ist mir immer bewusst, dass es eigentlich Beine sind und je nachdem mit wem ich rede, verwende ich das eine oder das andere. Aber dass die Brille „am Tisch“ liegt, klingt mir völlig richtig, obwohl ich es aber wiederum nicht schreiben würde. Eine sehr facettenreiche Sache.

              Der Text ist zwar aus einer recht anspruchslosen Wiener U-Bahn-Zeitung, trotzdem, 2x „am Tisch“, schriftlich, ist schon ein Indiz dafür, als wie normal das empfunden wird.

              „Maaroufs Patient lag bereits am Tisch. Der Kopf war schon mit Schrauben fixiert. Auch das Kontrastmittel wurde gespritzt. Kurz bevor der Chirurg das Skalpell ansetzte, wurde der Arzt gebeten den OP-Saal zu verlassen. Maaroufs Anwalt erklärt gegenüber deutschen Medien, dass er zum ärztlichen Direktor der Klinik gerufen wurde. Dort lag die fristlose Kündigung bereits am Tisch. Die Operation musste abgebrochen werden. Erst zwei Tage später konnte der Patient an der Kölner Uni-Klinik operiert werden. “

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              1. O ja, danke für die Beispiele! Genau solche Fälle meinte ich. Wobei es ja keine Frage von falsch oder richtig ist (das könnte ich im Österreichischen gar nicht beurteilen), sondern eine Frage der unterschiedlichen Verwendung in den Speachräumen.

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              2. Gerade gefunden ein Beispiel bei Ann Cotten in den Fremdwörterbuchsonetten (52):“Die Ellbogen am Tisch wussten, was immer kommen mochte.“
                Österreichische Literatur höheren Niveaus, ohne Zweifel.

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                1. Ja, sie wird sehr gelobt. Und das Werk wurde bei Suhrkamp herausgegeben, also wohl professionell lektoriert.
                  Offensichtlich handelt es sich somit um einen anerkannten „Austrizismus“. Mir fällt „am Tisch“ auch überhaupt nicht auf, obwohl ich einen recht gut trainierten Sprach-Blick habe.

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                2. Ich habe übrigens auch gerade ein unliterarisches Beispiel gesehen. Bei der Nachverfolgung einer Postsendung nach Griechenland steht „am internationalen Transport“ 😉 🙂

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                  1. „Auf dem Transport sein“ /“am Transport sein“ ist eine saubere Parallele zum Tisch.
                    Hier ergibt sich eine weitere Volte. Es gibt – ich weiß nicht, ob auch in Österreich – den Ausdruck „er ist am Essen“, gemeint ist „er ist gerade dabei, zu essen „.

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                    1. DAS ist auch interessant! Für mich kommt es aufs Verb an, aber ich habe keine Ahnung nach welchen Kriterien. Also zB
                      Ich bin am Überprüfen, ich bin am Explodieren, ich bin am Zugrundegehen …..
                      Aber Ich bin beim Essen, ich bin beim Arbeiten im Garten …

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                    2. Deine beiden letzten Beispiele wären zumindest im Ruhrgebiet völlig normal auch mit „am“ ☺. Als besonders gepflegtes Deutsch empfinde ich es aber nicht, eher als Umgangssprache.

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