Ein vorsichtiger junger Mann mit Zukunft – ABC-Etüden

Die ABC-Etüden

Wie immer bei Christiane

Die Wörter stammen diesmal von  Kopf und Gestalt

Die drei vorgegebenen Wörter in einen Text von maximal 300 Wörtern verpackt.

 

 

Mit beiden Füßen trampelte er auf dem Zettel herum, auf dem unnötigen, lächerlichen, peinlichen Zettel, der ihm das Leben schwer machte. Allerdings war es eine Kopie des Originals auf der er herumtrampelte, schließlich wollte er sich nicht noch zusätzlich schaden. Er hätte das blöde Papier natürlich auch zerreißen, verbrennen, ins Wasser werfen können.

Der Vordruck des Zettels war harmlos, ein anonymes Formular auf etwas besserem Papier. Dann aber, wenn es durch den Drucker gegangen war und neben jedem Stichwort eine Zahl stand, wurde jedes einzelne Formular personalisiert. Auf manchen – wie auf seinem auch – waren  noch ein paar zusätzliche Hinweise aufgedruckt. Bei manchen stand „ist berechtigt den Jahrgang zu wiederholen“ oder „ist berechtigt, eine Wiederholungsprüfung in Mathematik abzulegen“. Bei ihm stand „mit ausgezeichnetem Erfolg“ und die Zahlen neben den Stichwörtern waren alle ident, eins.

Eine solche Peinlichkeit gab es in seiner Klasse sonst nicht. Der Grad der Zufriedenheit im Lächeln der Lehrer verhielt sich umgekehrt proportional zu seiner Beliebtheit bei den Mitschülern, auch bei Lisa, seiner Freundin, seiner ersten, echten Sexualpartnerin. „Das ist zuviel“ hatte die dumme Kuh gesagt und war mit Otto abgezogen, der das Jahr nun zum zweiten Mal wiederholen würde.

Auf dem (kopierten) Zeugnis stehend, vollführte er eine 180 Grad-Drehung, wünschte dabei alle Idioten zum Teufel, war sich nicht ganz aber ziemlich sicher, dass Lisa auch zu dieser Gruppe zu zählen war und zündete das zerfetzte Papier doch noch an. Gefahrlos, in einer Metallschale. ER war ja nicht blöd.

Das Originalzeugnis, in einer soliden Plastikfolie lag in seiner Dokumentenmappe, neben anderen Fundamentsteinen seiner zukünftigen Karriere, auf denen er selbstverständlich nicht herumtrampeln würde. Wirklich peinlich war ihm das Zeugnis ja nicht, er wollte sich ja durchaus  von den anderen unterscheiden. Dass das nicht so ganz harmonisch vor sich gehen konnte, war eigentlich  klar, nur eben Lisa ….

 

11 Gedanken zu “Ein vorsichtiger junger Mann mit Zukunft – ABC-Etüden

  1. Ein Dilemma, das ich aus meiner Schulzeit bestens kenne. Ich hatte immer Einser-Zeugnisse, was meine Beliebtheit beim Tanzen sehr minderte, so sehr, dass ich bis 15 ein Mauerblümchen-Leben fristete. Um mir die Pein des Opfers zu ersparen, nahm ich zum Abschlussfest der Tanzstunde eine Kleinstausgabe von Faust II mit. Natürlich sprach sich sofort herum, dass die Gerda nun völlig abgedreht sei. War mir recht! Sollten sie doch!!! Zum Glück änderte sich alles, als ich dann in die Oberstufe kam …. 😉

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    1. Ja, man hat ja in jeder Gruppe eine andere Rolle. Das ist so interessant. Hihi, sehr provokant als 15-jährige FaustII zu lesen. Hat es dir wirklich in dem Alter schon gefallen, oder war es reiner Trotz und Provokation ? Wahrscheinlich irgendwas dazwischen ….

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    2. Gerda, da bist du ja wie meine Tochter – zumindest mit den Zeugnissen. Als sie dann ab der 8. Klasse auf ein naturwissenschaftliches Spezialgymnasium ging, fühlte sie sich sehr viel wohler, da sie unter Gleichgesinnten war. – Im Alter meiner Tochter gab es diese zum Teil entwürdigenden Tanzschulen nicht mehr – sie waren zumindest nicht mehr so „Pflicht“ wie bei mir.

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  2. Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Ich sitze hier, lache ein bisschen vor mich hin und stelle mir den öffentlichkeitswirksam aus der Haut fahrenden jungen Mann vor. Und alles nur wegen einer Frau! Tja, so ist das Leben.
    Sehr erheitert, kann man ja immer leicht sein, wenn es nicht um einen selbst geht
    Christiane

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  3. Ach, ein EinserZeugnis ein Manko? Verrückte Zeit, die vermutlich sehr schnell wieder zu Ende ist – hoffe ich doch

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  4. „Eine solche Peinlichkeit gab es in seiner Klasse sonst nicht. Der Grad der Zufriedenheit im Lächeln der Lehrer verhielt sich umgekehrt proportional zu seiner Beliebtheit bei den Mitschülern …“ – Bei diesen Worten musste ich an meinen Sohn denken. Er war nach der 8. Klasse und hatte so ein Zeugnis, als wir von einer „Elitegegend“ in eine „Nicht-Elitegegend“ umzogen. Und der idiotische Klassenlehrer hatte nichts anderes zu tun, als meinen Sohn wie einen Wunderknaben auf einem Tablett anzupreisen – woraufhin er alle Jungen der Klasse gegen sich hatte und bei den Mädchen war es vielleicht auch nicht anders. Er musste hart arbeiten, fast schon am Rande der Kriminalität, um sich in der Klasse zu behaupten. Ich hätte nicht in seiner Haut stecken wollen. – Da er aber absolut kein gewaltbereiter Typ ist, musste er sich andere Sachen einfallen lassen. – Zum Glück hat er seine Schulzeit schon lange Jahre hinter sich.

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