44. Station der Literaturweltreise – Algerien

Weiter gehts auf der Lesereise , nach Nordafrika

Assia Djebar

„Nirgendwo im Haus meines Vaters“

S.Fischer Verlag

Der deutsche Titel ist die wortgenaue Übersetzung des französischen Originals und das ist – so finde ich – ein gutes Zeichen. Eine kleine Leseprobe erklärt diesen Titel:

„Ich frage mich: Ist nicht jede Gemeinschaft von Frauen, die zur Gefangenschaft verurteilt sind, zunächst aus sich selbst heraus verdammt, weil jeder Konflikt durch die Rivalität zwischen ähnlichen Gefangenen zusätzlich verschärft wird? … Oder ist das der Punkt an dem jener Traum zu bröckeln beginnt: die Liebe des Vaters, die die einen in den beneidenswerten Status einer „Tochter ihres Vaters“ erhebt, den einer „geliebten Tochter“, so wie in unserer islamischen Kultur  der Prophet, welcher nur Töchter hatte (vier an der Zahl und jede davon außergewöhnlich; die Jüngste, die Einzige, die ihn überlebte, starb vor lauter Kummer darüber, dass man sie enteignet und ihr das gesamte väterliche Erbe genommen hatte. Fast ist mir, als könnte ich sie mit leiser Stimme seufzen hören“Ach, Nirgendwo im Hause meines Vaters“ ) p.224

Assia Djebar, geboren als  Fatima-Zohra Imalayène am  30. Juni 1936 in Cherchell bei Algier starb am 6. Februar 2015 in Paris. Sie schrieb ihre Romane auf französisch, wie viele maghrebinische Autor*innen ihrer Generation. Das Französische als Kultursprache, das Arabische als Herzenssprache, so empfanden es wohl viele Schriftsteller und Intellektuelle, die unter französischer Kolonialherrschaft in einem der Länder des Maghreb aufwuchsen und durch das französische Bildungssystem gingen.

„Nulle part dans la maison de mon père“ 2007  (dt. Nirgendwo im Haus meines Vaters, 2009) ist Assia Djebars Autobiographie, in der sie ihre Kindheit und Jugend beschreibt, in Städten und Dörfern Algeriens vor der Unabhängigkeit des Landes.

Die Atmosphäre dieses Romans ist dicht, er beschreibt einzelne Szenen, zwischen denen oft große zeitliche Abstände liegen. Wir erinnern uns ja aus unserer Kindheit hauptsächlich an emotionale Ereignisse, die Spuren hinterlassen haben und so können biographische Erzählungen aus der Kindheit oft den Eindruck erwecken als hätte das Leben nur aus Höchst- und Tiefpunkten bestanden, was wohl selten der Fall ist.

Interessant fand ich, dass die Autorin zwar die traditionelle Lebensweise der algerischen Frauen kritisiert, dass sie aber nicht den Islam als Begründung für diese Lebensweise sieht. Schwierig war es, ein schlüssiges Bild der beschriebenen Menschen zu sehen. Der Vater der Autorin wird – aus meiner Sicht – als sehr zwiespältig beschrieben. Einerseits ist er sehr traditionell orientiert und verbietet zum Beispiel seiner vier, fünfjährigen Tochter Radfahren zu lernen, weil dabei ihre Beine zu sehen sind, andererseits ermöglicht er ihr als noch junges Mädchen in Frankreich zu studieren.

Vom Hin- und Hertaumeln zwischen zwei Kulturen erfährt man aus der Erzählung von der Schulzeit Assia Djebars. Sie lebte Jahre im Internat einer Schule, die von einigen wenigen anderen algerischen Mädchen und hauptsächlich von Töchtern der Kolonialherren besucht wurde. Ihr Vater war ein „einheimischer Lehrer“ und unterstützte die Ausbildung seiner Tochter. Dieses Algerien der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts rückblickend beschrieben, aber gesehen durch die Augen einer Jugendlichen zeigt ein sehr bezeichnendes Sittenbild einer Gesellschaft, die einerseits in Herrschende und Beherrschte und innerhalb der Beherrschten noch in dominierende Männer und recht unsichtbare Frauen unterteilt ist. Aber es ist ein Blick von innerhalb einer Gesellschaft, der nichts mit jenen Werken zu tun hat, die andere Kulturen mit verständnislosem Blick von außen betrachten.

 

6 Gedanken zu “44. Station der Literaturweltreise – Algerien

    1. Ich habe vor nahezu dreißig Jahren eine Zeit lang in einer tunesischen Kleinstadt, in Sfax gelebt. Es ist keine gute Erinnerung. Ohne Mann irgendwo auf der Straße unterwegs zu sein, war ein Spießroutenlauf, praktisch jeder Mann fühlte sich berechtigt sexistische Bemerkungen zu rufen. Und ich war nicht in Shorts oder Miniröckchen unterwegs. Ich war damals in einem Ausmaß auf männliche Begleitung und Unterstützung angewiesen, dass ich die Situation als demütigend empfand.
      Romantische oder sonstige Studien über Land und Leute außerhalb eines Hauses waren im Maghreb zu Zeiten Klees nur den Männern vorbehalten. Mit Ausnahme von Frauen, die sich wie ZB Isabelle Eberhardt als Männer ausgaben und verkleideten. Dabei war und ist Tunesien von den vier Maghrebstaaten das liberalste …..

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  1. Uff, du stellst in deinem Beitrag die Behauptung auf, daß der Koran (der muslimische Glaube) für die Unterdrückung der Frau Verantwortlich ist. Ich bin mir da nicht so sicher. Klar, der Koran ist definitiv keine emanzipatorische Schrift, aber:
    Ist die Bibel da soviel besser? Im Mittelalter mußten sich Frauen auch in unseren Breitengraden stark verhüllen und wurden stark unterdrückt, das hatte erst ein Ende mit der Aufklärung und es gab (und gibt) auch genügend islamische Staaten die in Sachen Emanzipation einen ganzen Schritt weiter sind. Ist also wirklich der islamische Glaube dafür verantwortlich, oder nutzen gewisse Menschen den Glauben nicht als Vorwand für Unterdrückung?
    Ein schweres, kompplexes Thema, ich weiß, aber einfach nur mit dem Finger auf eine Ursache zu zeigen und zu sagen: Die ist Schuld ist schon ein wenig dünn.

    Schau dir nur mal an, was ein schöner und demokratischer Staat der Iran unter Mohammad Mossadegh war, bevor die Amerikaner ihn putschten, weil sie an das Öl wollten. Oder die Herrschaft der Mauren , die Spanien zu einer kulturellen Blüte im damaligen finstern Mittelalter brachten. Etwas von dem Spanien und sogar ganz Europa bis heute zerrt.

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    1. Nein, ich stelle diese Behauptung hier nicht auf, ich schreibe über ein Buch:
      „Interessant fand ich, dass die Autorin zwar die traditionelle Lebensweise der algerischen Frauen kritisiert, dass sie aber nicht den Islam als Begründung für diese Lebensweise sieht.“
      Wenn ich eine Behauptung aufstellen würde, dann wäre das, dass alle drei großen monotheistischen Religionen Frauen in fast allen Bereichen gelinde gesagt nicht fördern.
      Die islamische Hochkultur in Andalusien, die tatsächlich allem, was es damals in Europa gab haushoch überlegen war, gründete ihre Blüte aber nicht auf den Islam, sie war eher trotz und nicht wegen des Islam so überlegen entwickelt und sie endete endgültig 1492. Dann kamen bei den Mauren die religiösen Fanatiker an die Macht, ebenso wie bei den Spaniern, das Ergebnis ist bekannt.
      Heutzutage gibt es leider keinen einzigen arabischen=muslimischen Staat dessen Bürgerinnen und Bürger in Frieden, Wohlstand und relativer Gerechtigkeit leben und wo Frauen den Männern gleichberechtigt sind.
      Den Vergleich zwischen dem mittelalterlichen Christentum und dem aktuellen Islam finde ich immer sehr aussagekräftig. Ja, vielleicht gibt es in weiteren tausend Jahren arabische Gesellschaften, die eine Trennung von Staat und Religion geschafft haben, derzeit ist das nicht der Fall.
      Und es ist meine wirklich tiefe Überzeugung, dass Staat und egal welche Religion getrennt sein müssen, wenn es eine einigermaßen gerechte und für alle lebenswerte Gesellschaft geben soll

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