Tod – ABC-Etüden

Ein plötzlicher Ruck, die Seile spannen sich, der Sarg steht an seinem Platz. Reden, Gesänge, Blumen, harte, schwarze Schatten. Gepresstes Atmen hinter Sonnenbrillen. Das Aufprallen der Erde auf dem Holz, endgültig. Fassungslosigkeit, Panik, immer präsente Angst um das eigene Leben. Die Rituale bleiben leer und stützen und halten nicht mehr.

Irren durch den Friedhof, zwischen den Steinen mit den bekannten Namen mit den unerbittlichen Daten und den verblassten Bildern, zwischen den machtlosen Inschriften und Lichtern. Groß und prächtig die Mausoleen, armselig die verwitterten Holzkreuze und namenlosen Steine auf den Soldatengräbern.

Hochaufragende Mauern menschlicher Hybris zerfallen vor unseren Augen.

Doch dann: der zärtliche, weiche Nieselregen durchdringt die Erde, durchdringt das Holz und vereint, was zusammengehört.

 

Die ABC-Etüden bei Christiane

Es soll ein Text entstehen mit einer Länge von  maximal 300 Wörtern, in dem die 3 vorgegebenen Wörter vorkommen.

Diesmal sind das „weich“ – „Nieselregen“ – „irren“

Die Art des Textes kann frei gewählt werden. 

23 Gedanken zu “Tod – ABC-Etüden

      1. Wenn wir das Schöne als Gipfelpunkt der Entwicklung ansehen, dann kann es danach nur noch einen Abstieg geben. Das ist traurig, jedenfalls für viele. Ich bin auch eher ein Erbauer als ein Einreißer.
        Viel schlimmer, bezogen auf deine Geschichte, finde ich den Satz, dass die Rituale nicht mehr tragen. Weil, wenn das so ist, was bleibt denn dann? Es kümmert sich keiner gern um „so was“, wenn man es nicht braucht, und wenn man es dann braucht, ist die Zeit nicht mehr da …
        Versöhnlich finde ich den Nieselregen als unaufgeregte Perspektive von außen. Mag ich sehr.
        Liebe Grüße
        Christiane

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  1. Es gibt auch durchaus neue Rituale, es kommt darauf an was die Angehörigen wollen und auch was sich der/die Gestorbene gewünscht hat!
    Mal davon ganz abgesehen, geht mir deine Etüde unter die Haut, so gut hast du ein Begräbnis geschildert!
    Herzliche Grüße
    Ulli

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    1. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass man über Texte nicht lange nachdenken soll, sondern einfach schreiben. Verbessern oder verschlimmbessern kann man dann immer noch.

      Auch selbsterfundene Rituale können sehr tröstlich sein.

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  2. Ich finde Mausoleen meist weniger prächtig. Gestalterisch sicherlich, aber irgendwie wirken sie auf mich verzweifelt. Als würden die Toten noch am Leben festhalten. Der Nieselregen kann sie ja nicht mal erreichen.
    Ein schöner ruhiger Text.
    Grüße, Katharina.

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  3. Ein Text, der fesselt, vielleicht gerade durch seine Kürze, seine klaren Sätze
    Total treffens Dein Satz: Die Rituale bleiben leer und stützen und halten nicht mehr. Genau so empfinde ich bei einee üblichen Beerdigung, auch wenn sie sich noch so kostbar und edel gibt. Am Ende steht nur eines, einer starb, hauchte sein Leben aus und diese letzte Ehre ist nur noch eine leere Form. Die Gefühle verstecken sich, die Tränen rinnen an anderer Stelle.

    Eine Beerdigung in einem Friedwald, hell und licht, die griff mir ans Herz und ich werde sie nie vergessen.

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  4. In Bolivien z.B. geht man bei mehreren Gelegenheiten auf den Friedhof, um mit den Ahnen im Geiste zusammen zu sein, zu essen und zu trinken. Hier gibt man die Toten nicht ab in ein Grab, sondern versucht bewusst weiter mit ihnen zusammen zu sein. Finde ich sehr tröstlich.

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