Die ABC-Etüden bei Christiane
Es soll ein Text entstehen mit einer Länge von maximal 300 Wörtern, in dem die 3 vorgegebenen Wörter vorkommen.
Die Art des Textes kann frei gewählt werden.
Durch den Eiswald gingen sie, durch das niedrige Unterholz, in der rituellen Bekleidung für die Sonnwendfeier, in der von alters her vorgegebenen Prozessionsordnung. Ihr Ziel war die heilige Höhle des Stamms. Die mit Kaninchensehnen vernähten Bärenfelle, die sie trugen, wurden vom leichten Schnee durchnässt.
An diesem Tag hatte es um die Mittagszeit leicht getaut und daher trieften auch die mitgetragenen uralten Banner vor Nässe, teilweise waren die alten Stoffe aber auch fest gefroren. Die meisten hingen in Fetzen und man konnte kaum mehr die Farben erkennen. Auch die ursprüngliche Bedeutung der Banner kannte niemand mehr. Mit wenigen Ausnahmen bestand die Prozession aus ganz jungen Menschen, die energisch ausschritten und einen unmelodischen Singsang angestimmt hatten, der der Ausgangspunkt für das nachfolgende Ritual war.
In der Höhle angekommen, gruppierten sich alle feierlich im Kreis. In Halterungen steckten Fackeln, die die Wände schwärzten und ein flackerndes Licht auf die versammelten Menschen in ihrer rituellen Bärenfellbekleidung warfen. Nun traten die fünf Menschen vor, die an diesem Tag der Sonnenwende ausgezeichnet wurden und den Stein bewegen durften. Sie traten nacheinander in den Kreis, die Versammlung stimmte ein tiefes Brummen aus vielen Kehlen an, und nacheinander hoben sie den massiven Stein an und verrückten ihn jeweils ein kleines Stück, bis das darunterliegende Loch sichtbar wurde. Die Stammesanführerin öffnete die Metallkassette und entnahm ihr die heilige Schriftrolle. Niemand konnte die stark verblassten Zeichen deuten, niemand konnte noch lesen. Sie hob das Schriftstück zum Himmel ohne es entziffern zu können.
„Heute am 21. Juni, dem fünfzigsten Sonnwendtag nach Verschwinden des Golfstroms, versuchen wir bei Raureif zu feiern und unser Schicksal anzunehmen. Während große Teile der Welt bei extremer Hitze verdorren, wird es in der Alpenregion immer kälter. Immer mehr Zulauf haben die Fundamentalisten, die unsere Lage auf sündige Gedanken zurückführen. Wir haben der extremen Kälte nicht mehr viel entgegenzusetzen.„
300 Wörter
Pingback: Schreibeinladung für die Textwoche 49.50.18 | Wortspende von Elke H. Speidel | Irgendwas ist immer
20. November 2018 um 11:57
Wir kommen zurück auf die uralten Gegensätze: Feuer und Wasser, Hitze und Kälte …
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20. November 2018 um 10:38
Wundervoll hast Du mich von meinem Glatteis zurückgeführt, liebe Myriade,
aber in eine düstere Welt in der Zukunft,
in der wir nicht enden möchten, denn so viele Rückschritte verkraftet kaum einer
von uns wirtschaftswunderweichgespülten Menschlein
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20. November 2018 um 23:09
Wenn irgend möglich möchte ich sie auch nur ungern verkraften müssen
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21. November 2018 um 12:13
Würden wir nicht elend zugrunde gehen
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21. November 2018 um 12:31
Ziemlich sicher, würde ich sagen … Aber wer weiß, man hat auch unerschlossene Ressourcen …
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21. November 2018 um 15:43
Das ust wahr und diese Anpassungsfähigkeit der Menschen…
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19. November 2018 um 18:53
Schön, wie du die Kurve genommen hast und wir Lesende plötzlich in der unwirtlichen Zukunft sind, auch wenn diese Zukunft nicht gerade eine Vision ist, die ich nähren möchte.
Toll geschrieben, mag ich sehr.
herzliche Grüße
Ulli
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19. November 2018 um 19:02
Nein, eine zu nährende Vision ist das wirklich nicht und ich hoffe sehr auch keine besonders realistische. Wahrscheinlich wird das Ende der Menschheit ganz anders aussehen als wir uns das vorstellen
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20. November 2018 um 00:07
Dem schließe ich mich an, mir gefällt deine Etüde auch sehr. Liebe Grüße
Anna-Lena
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20. November 2018 um 23:06
Vielen Dank, liebe Anna-Lena
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19. November 2018 um 17:54
Schluck. Ich habe ja geahnt, dass Du hier nicht auf eine romantische Steinzeitidylle hinaus willst. Ganz schön düster, aber wenn wir so weiter wirtschaften, dann durchaus realistisch …
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19. November 2018 um 18:51
Doch hoffentlich nicht. Allein die Aussicht auf eine analphabetische Menschheit, schrecklich …..
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19. November 2018 um 14:42
Chapeau über deine Vielseitigkeit!
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19. November 2018 um 18:50
Danke schön fürs Loben, geht runter wie Honig 🙂
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19. November 2018 um 11:48
Wie diese Menschen wohl leben, wenn sie gerade keine Rituale vollziehen?
Also noch einen warmen Pulli an, statt die Hezung häher zu knallen – fällt mir immer wieder schwer.
Aber bei solchen Aussichten…
Natalie
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19. November 2018 um 18:41
Ich hoffe doch sehr, dass die Menschheit da nicht hinkommt und im letzten Moment alle diese Charlatane und Idioten, die gerade an der Macht sind entthronen…… Wie leben die, naja, primitiv, in Höhlen mit Feuer, aber sparsam, weil das Holz kostbar ist. Von der Jagd, weil für die Landwirtschaft ist es zu kalt und sämtliche Glashäuser wurden von den religiösen Fundamentalisten zertrümmert, ebenso wie die Industrie. Lesen und Schreiben ist auch des Teufels ganz zu schweigen von sonstigen Wissenschaften …. Brrrrrrr,
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19. November 2018 um 09:49
Ach du Sch… Schön aufs Glatteis geführt hast du mich, nie und nimmer hätte ich gedacht, dass deine Etüde in der Zukunft spielt. Prima! (Dystopien hätte ich eher bei Bernd vermutet 😉).
Gefällt mir sehr.
Liebe Grüße
Christiane
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19. November 2018 um 18:41
Man muss ja das Genre immer wieder wechseln 🙂
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19. November 2018 um 09:37
Was für eine dystopsche Vorstellung!
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19. November 2018 um 18:30
Ja grauslich, gell
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