Der Tod reißt ein Loch in die Wand …

Unsere Beziehungen zu anderen Menschen sind wie ein Geflecht, das eine Schutzwand bildet vor dem Wissen um die Vergänglichkeit, vor der Angst vor dem eigenen Tod. Wenn jemand stirbt, zerreißt dieses Geflecht an einer Stelle und macht den Blick frei auf die Unendlichkeit.

Eine Freundin ist gestorben. Völlig unerwartet, viel zu jung.  Sie hatte gar keine Möglichkeit, sich auf den Tod vorzubereiten, sich vom Leben und ihrer Umgebung zu verabschieden, Dinge zu regeln, die sie vielleicht gerne geordnet hätte, bevor sie nun anderen Menschen überlassen bleiben. So bleiben viele lose Fäden und ein plötzlich unterbrochenes Leben, der Schockzustand der Familie und der Freunde. Niemand erwartet an einem Knöchelbruch zu sterben

Was wir nicht alles auftürmen zwischen uns und der Vergänglichkeit, der eigenen Sterblichkeit, der Sterblichkeit jener, die wir lieben, der Vergänglichkeit aller Menschen. Die Mauern und Türme mögen materieller Art sein, Schlösser, Autos und Jachten, oder psychologischer Art, Familienidyllen, Rückzugsgebiete und Religion, manche Menschen halten sich an Traditionen und Rituale. Strategien gibt es wie Sand am Meer. Gemeinsam haben sie alle, dass sie nicht wirken. Es genügt eine Erschütterung, der Tod eines Menschen, welcher Teil der eigenen Anti-Vergänglichkeitsillusion war und schon werden die Schutzmauern durchsichtig oder zerbröseln gar.

Ständig stoßen meine Gedanken an Barbara. Wir waren in ein paar Tagen verabredet, für Jänner wollte sie ein Foto-Treffen organisieren, im Sommer war eine gemeinsame Woche in Irland geplant, ich habe zwei neue Teetassen gekauft, die ich mit ihr gemeinsam einweihen wollte, ich habe seit einem Jahr oder länger ein Buch von ihr … Lauter unwichtige Kleinigkeiten, aber aus solchen Kleinigkeiten besteht nun einmal der Großteil des Lebens

Sie ist an einer Lungenembolie gestorben. Ist das schnell gegangen ? War ihr bewußt, dass sie stirbt ? Hatte sie Glück und ist im Schlaf gestorben ?

(…)Et que je te sens froide en te touchant, ô mort,
Noir verrou de la porte humaine !

Victor Hugo – Paroles sur la dune

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42 Gedanken zu “Der Tod reißt ein Loch in die Wand …

  1. Herzliches Beileid.
    So unerwartet ist es wirklich schlimm, weil keine Chance auf einen persönlichen Abschied besteht.
    Mit der eigenen Endlichkeit setze ich mich in letzter Zeit auch sehr auseinander. Es beschleicht mich dann ein Hauch Melancholie und schafft großen Abstand zu materiellen Dingen.
    Fühl Dich gedrückt.

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    1. Danke fürs Mitgefühl ! Abschiede, die nicht stattfinden konnten, machen das Loslassen so schwierig und ich bin ohnehin nicht besonders gut im Loslassen …
      Melancholie in allen ihren vielschichtigen Variationen passt ja auch gut zum Winter.

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  2. Das tut mir sehr leid. Dieses plötzliche Bewusstwerden der Endlichkeit musste ich in den letzten Jahren auch immer wieder erleben. Es bleibt ein Gefühl der Schockstarre, die verarbeitet werden muss. Fühl dich virtuell gedrückt und ich wünsche dir, dass du dich an all die schönen gemeinsamen Augenblicke dankbar erinnern kannst…

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    1. Ja, das ist wahr, das Verabschieden ist auch ganz schrecklich.Aber im Rückblick ist es doch das bessere Gefühl, wenn man eine Verabschiedung wenigstens versucht hat … Vielen Dank fürs Mitgefühl !

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  3. auch mir tut es leid fuer dich und natuerlich auch fuer sie und ihre Familie. Das ist wirklich ein Schock, wenn jemand jung ist und so unerwartet stirbt. Fuehl dich auch von mir umarmt und alles Liebe

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  4. War lange nicht auf deinem Blog und lese das erst heute. Möchte dir auch sagen, daß es mir sehr leid tut. Ich fühle mit dir, habe schon viele Freunde durch Tod verloren.
    Und wie ich den Schmerz der kleinen Dinge kenne, noch ein Buch haben…
    Alles Liebe

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    1. Ich empfinde genau diesen Schmerz der kleinen Dinge als besonders heftig, weil er immer wieder in ganz unerwarteten Zusammenhängen auftritt …
      Danke für dein Mitgefühl ! und herzliche Grüße

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